Mordfall Frauke Liebs: Auch nach 20 Jahren suchen sie weiter nach ihren Mörder

Gedenken an die ermordete Frauke Liebs.

von KLAUS KELLE

PADERBORN – Ich weiß gar nicht, wieso der Fall gerade jetzt auf dem Bildschirm meines Laptops aufploppte. Aber plötzlich war er da, der Mordfall Frauke Liebs, von dem ich bis vor ein paar Tagen nie etwas gehört hatte.
Ich blieb an dem Thema hängen, weil dieses Gewaltverbrechen in meiner alten Heimat, in Ostwestfalen, geschehen ist. Und weil ich als Journalist zur unbedingten Neugier verpflichtet bin, googlete ich den Namen und las und las. Ich hörte mit den Podcast eines „Stern“-Reporters an, der sich darum verdient gemacht hat, dass dieser Fall nicht in Vergessenheit geriet, dass auch heute – nach fast 20 Jahren – Ermittler weiter nach Hinweisen suchen, warum die junge lebenslustige Frau entführt und ermordet wurde.

Bei einem Link entdeckte ich den Namen eines früheren BILD-Kollegen, der damals über das tragische Verbrechen recherchiert und geschrieben hat. „Gibt es irgendeinen Aspekt, wo man noch ansetzen könnte“, wollte ich wissen, als ich ihn vergangene Woche am Handy erwischte. Irgendein Nebengleis, um das man sich vielleicht nicht ausreichend gekümmert haben könnte damals? Er machte mir keine Hoffnung. „Die Geschichte ist auserzählt“, alle Möglichkeiten wurden ausgeleuchtet, ohne den Täter finden zu können.

Im vergangenen Jahr stellte Ingrid Liebs (70), die Mutter des Opfers, die Internetseite ab, auf der sie immer wieder mit Fotos und Texten von Frauke an mögliche Mitwisser appellierte, sich zu melden und den „cold case“ aufzuklären. Gegenüber der dpa sagte sie: „Aus meiner Sicht ist von mir alles getan, um den zu finden, der für Fraukes Tod verantwortlich ist. Ich habe keinen Mitwisser zum Sprechen bringen können.“ 17 Jahre nach dem Fund der Leiche ihrer Tochter sei es an der Zeit „loszulassen“.

Aus Sicht der Mutter, einer 70-jährigen ehemaligen Schulleiterin, nur allzu verständlich. Wer so ein schreckliches Verbrechen im engsten Familienkreis erleben musste, dessen weiteres Leben wird nie mehr so sein, wie es vorher war. Niemals.

Die stark verweste Leiche von Frauke Liebs war am 4. Oktober 2006 in einem Waldstück nordöstlich von Paderborn bei Lichtenau gefunden worden. Die Nachricht hatte Entsetzen in der ganzen ostwestfälischen Region und darüber hinaus hervorgerufen. WDR, RTL und dann auch „Aktenzeichen XY ungelöst“ (ZDF) berichtete ausführlich. „Stern“-Reporter Dominik Stawski schrieb immer wieder über den gruseligen Fall, veröffentlichte Podcasts dazu. Hobby-Fahnder tauschten sich auf einschlägigen Internetforen darüber aus, was wohl in den sieben Tagen passiert sein mochte, in denen es nach ihrem Verschwinden noch Lebenszeichen von Frauke Liebs gab.

Es war die Zeit des Sommermärchens

Deutschland in einem schwarz-rot-goldenen Fußballrausch. Am 20. Juni verfolgte Frauke, eine Krankenpflegerin, mit Freunden im „Irish Pub“ in der Paderborner Innenstadt ein WM-Spiel. Etwa gegen 23 Uhr verließ sie alleine die Kneipe, und machte sich zu Fuß auf den ungefähr 1,2 Kilometer langen Weg zu ihrer Wohnung im Südwesten der Stadt. Die bewohnte sie auch nach der Trennung immer noch mit ihrem Ex-Freund. Doch Frauke Liebs kam an diesem Abend und danach nie wieder dort an.

Ihre Mutter erstattete gleich am nächsten Tag eine Vermisstenanzeige bei der Polizei, nachdem sie erfahren hatte, dass die Tochter morgens nicht zur Arbeit erschienen war. Im Umfeld der Verschwundenen kritisierte man später den laxen Umgang der Polizei mit dem Fall in den ersten Tagen. Es verfestigte sich der Eindruck, dass man bei der Polizei nicht allzu ernst nahm, wenn eine 21-Jährige nach einer Feier nicht nach Hause kommt.

Aber es war sehr ernst

In der ersten Woche nach ihrem Verschwinden rief Frauke nämlich mehrmals ihren WG-Mitbewohner an und sprach auch noch mit anderen Familienmitgliedern per Handy.

Bis auf einen kamen die Anrufe jeweils am späten Abend (nach 22 Uhr) bei Fraukes Mitbewohner an. Vier Gespräche dauerten dabei weniger als eine Minute. Die Vermisste versicherte, es gehe ihr gut und sie komme in Kürze nach Hause. Am folgenden Samstag rief Frauke Liebs schon um 14.22 Uhr an, und am Freitag nach dem Verschwinden gelang es ihrem Bruder sogar, sie auf ihrem Handy zurückzurufen. Über ihren Aufenthaltsort macht sie keine Angaben, bekräftigte immer wieder nur, dass sie jetzt aber wirklich nach Hause komme. Bei Nachfragen antwortete sie ausweichend und manchmal auch unzusammenhängend.

Das fünfte und letzte Telefonat fand am 27. Juni gegen 23.29 Uhr statt, und es dauerte ungewöhnliche fünf Minuten. Frauke Liebs sprach dabei mit ihrem Mitbewohner und ihrer anwesenden Schwester über die Lautsprecherfunktion. Als sie Frauke fragten, ob sie gegen ihren Willen festgehalten werde, antwortete sie zunächst mit einem leisen „Ja“, rief sofort danach aber zweimal laut „Nein“, „Nein“.

Dieses Gespräch war der letzte direkte Kontakt. Die Polizei verfolgte über die Funkmasten in der Region, von wo etwa die Telefonate geführt wurden. Das waren verschiedene Orte in der Region in einem Umkreis von etwa 60 Kilometern. Eine operative Fallanalyse des Landeskriminalamts (LKA) NRW kam im Januar 2007 zu dem Ergebnis, dass Frauke Liebs höchstwahrscheinlich im Raum Nieheim festgehalten worden war. Ob in einer Wohnung, einem Wohnhaus oder zum Beispiel in einer Jagdhütte oder einem Wohnmobil, das war nicht festzustellen. Die Ermittler gehen bis heute davon aus, dass es sich um einen Einzeltäter mit guten Ortskenntnissen handeln muss.

Mitte des Jahres 2016 überprüfte die Mordkommission auch, ob es beim Fall Liebs einen Zusammenhang zum „Horrorhaus in Höxter“ gegeben haben könnte, in dem ein Paar mehrere Frauen in seinem Haus im Ortsteil Bosseborn über einen längeren Zeitraum festgehalten und misshandelt hatte, wobei zwei Frauen gestorben sind. Aber die Beamten fanden keine Hinweise.

Im August 2022 durchsuchte die Polizei sogar wieder zwei Häuser in Lichtenau und Paderborn, ohne dass sich neue Spuren dabei finden ließen.

Bis November 2022 wurde ungefähr 1150 Spuren nachgegangen. Staatsanwalt Kai Uwe Waschkies, der die Ermittlungen bis heute leitet, will, dass die Bevölkerung weiterhin über den Fall spricht und sich umhört. Vielleicht macht der Täter oder ein Mitwisser irgendwann mal eine unbedachte Aussage gegenüber irgendwem… Mehr Ansatzpunkte gibt es wohl nicht mehr.

Bildquelle:

  • Frauke_Liebs: privat

Unterstützen Sie unsere Arbeit mit einer Spende

Jetzt spenden (per PayPal)

Jetzt abonnieren

Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.