von THOMAS PAULWITZ
BERLIN – Wer Scrabble spielt, übt sich in der deutschen Sprache: Er erweitert seinen Wortschatz, stärkt seine Rechtschreibkenntnisse, und ein bisschen rechnen muss man außerdem. Ab sofort kann man auch gendern: Der Verlag Mattel liefert nämlich einen eigenen Gender-Stein aus. Er ist mit einem Gendersternchen und den Buchstaben I und N beschriftet: „*IN“. Mit zehn Punkten hat er den höchsten Buchstabenwert erhalten. Nur die Buchstaben Q und Y haben eine gleich hohe Punktzahl. Außerdem gendert Mattel die Spielanleitung. Dort heißt es nun zum Beispiel: „Jede*r Spieler*in zieht nun einen Stein aus dem Beutel.“
Seit ungefähr 70 Jahren erfreut sich das Buchstabenspiel in Deutschland großer Beliebtheit. Millionen Spiele wurden verkauft. Kein Wunder, dass Ideologen versuchen, dies auszunutzen. Mattel gibt selbst zu: „Mit dem Genderstein bei Scrabble haben wir die Chance, den Stein des Anstoßes für eine gendergerechte Sprache zu geben. Er ist ein sichtbares Zeichen dafür, dass sich die Spielregeln in der Gesellschaft verändert haben.“ So steht es in der Pressemitteilung vom 13. April. Mit Hilfe des Buchstabenspiels will Mattel die Spieler umerziehen: „Durch die Neuerung bei Scrabble kann das Gendern spielerisch leicht gelernt werden und in den täglichen Sprachgebrauch übergehen.“
Gezielter „Stein des Anstoßes“
Anders als 2018 handelt es sich diesmal nicht um eine Falschmeldung. Damals gab Mattel bekannt, das Spiel „Scrabble“ in Deutschland in „Buchstaben-YOLO“ umzubenennen. Zahlreiche Medien – unter anderem die F.A.Z. – nahmen diese Nachricht für bare Münze. Auch Sprachliebhaber fielen auf die gezielte Falschmeldung herein und beschwerten sich über den Namen „YOLO“. Dieser wäre nämlich nicht nur wie der Markenname „Scrabble“ ein Anglizismus gewesen, sondern auch ein Wort, das die Jugendsprache-Industrie als Abkürzung von „You Only Live Once“ verbreitet hatte.
Diesmal hat sich Mattel mit der Gender-Industrie verbündet. Die Empörung von 2018 hatte Mattel als werbewirksam einberechnet. Diesmal ist es offenbar genauso, indem man den Scrabble-Spielern, die in der Regel als sprachempfindlich gelten und somit das Gendern überwiegend ablehnen dürften, ein weiteres Mal vor dem Kopf stößt – eine riskante Werbestrategie. Dass mit der Einführung des Gender-Steins aufgrund des Ukrainekrieges im Gegenzug der Buchstabe „Z“ aus dem Spiel entfernt wurde, ist freilich nur ein Gerücht.
Neue Form von „Mensch ärgere dich nicht“?
Mattels Gender-„Stein des Anstoßes“ kam bei den Freunden des Buchstabenspiels schlecht an: „Ideologie mit der Brechstange“, „nicht kaufen, Boykott hilft ganz schnell“, „armselige Verunstaltung der deutschen Sprache“, „die sind ja komplett ballaballa“. So lauteten erwartungsgemäß erste empörte Erregungen. Die Twitter-Figur „Nikki Gendermann“ rief hingegen dazu auf, gelassen zu bleiben: „Es ist eine neue Form von ‚Mensch ärgere dich nicht‘.“ Auch der Vorschlag eines Spielers, den Spieß umzudrehen und aus den zehn Punkten, die der Genderstein bringen soll, zehn Minuspunkte zu machen, ist originell.
Ärgerlich sind freilich die Märchen, die Mattel verbreitet: „Gendern – sei es mit Unterstrich, Doppelpunkt oder Sternchen – macht es möglich, dass Frauen und nicht-binäre Personen in der Sprache sichtbar werden.“ Doch: Das generische Maskulinum umfasst alle und schließt niemanden aus. Mit einem zusätzlichen typographischen Sonderzeichen macht man vor allen Dingen dieses Sonderzeichen sichtbar. Mit einer gesprochenen Genderpause, einer Millisekunde des Schweigens, macht man auch niemanden hörbar. Allenfalls macht man für andere sicht- und hörbar, dass man die bewährten und allgemein anerkannten Regeln des Schreibens und Sprechens weder beherrscht noch bedamscht.
Auch die Dudenredaktion mischt mit
Schützenhilfe holt sich Mattel ausgerechnet bei einer Gender-Autorin des Duden-Verlags. Als einstmals angesehene Rechtschreib-Instanz stellt sich der Duden seit Jahren durch seine ideologiegetriebene Genderpolitik ins sprachliche Abseits. Gabriele Diewald, Germanistin an der Universität Hannover, hat für die Duden-Redaktion drei Bücher mitverfasst: „Richtig gendern“ (2017) „Gendern – ganz einfach!“ (2019) und „Handbuch geschlechtergerechte Sprache: Wie Sie angemessen und verständlich gendern“ (2020).
Diewald hat also wie Mattel das Gendern als Geschäftsfeld entdeckt und spricht sich daher selbstverständlich für diese Ideologisierung der Sprache aus: „Sprache schafft Realität. Indem man bestimmte Dinge benennt, werden sie bewusst. Mit Sprache kann man die Wahrnehmung verändern“ zitiert Mattel Diewald und fügt hinzu: „Durch die Neuerung bei Scrabble kann das Gendern spielerisch leicht gelernt werden und in den täglichen Sprachgebrauch übergehen.“
Genderregeln bestehen den Praxis-Test nicht
In der Praxis lassen sich die neuen Regeln jedoch häufig nicht umsetzen. Wollte ein Scrabble-Spieler zum Beispiel aus „Arzt“ eine „Ärzt*in“ machen, müsste er den Buchstaben A (Buchstabenwert: ein Punkt) durch Ä (sechs Punkte) ersetzen. Aus der gegenderten Anleitung erfährt er lediglich: „Im Zweifelsfall sollte ein Wörterbuch zurate gezogen werden.“ Doch in den Wörterbüchern, die sich an die Vorgaben der Kultusministerkonferenz und des Rats für deutsche Rechtschreibung halten, gibt es gar keine Wörter mit Gendersternen.
Gegner des Gendersterns können daher mit der folgenden Regel jedes Genderstern-Wort wieder vom Spielfeld nehmen lassen: „Wer das beanstandete Wort platziert hat, muss seinen Mitspieler*innen das entsprechende Stichwort im zugrunde gelegten Wörterbuch zeigen.“ Das ist typisch für ideologisch motivierte Sprachveränderungen: Sie bestehen den Praxistest nicht.
Bildquelle:
- Gender_Scrabble: dpa