von MARK ZELLER
WITTEN – Von Rex Carter über „Trio“ zu Heinrich Schweinrich: Stephan Remmlers künstlerisches Wirken hat ganz unterschiedliche Ausprägungen. Geschichtsträchtig wurde er als lässiger Revolutionär der deutschen Musik.
Erst vergangene Woche schoss sein Gesang mir wieder durch den Kopf, denn nichts konnte den sportlichen Niedergang meines Lieblingsvereins besser ausdrücken, als die schonungslose musikalische Einordung aus dem „Loser“-Song: „Ganz unten, ganz hinten, am Arsch!“ Große Empfindungen direkt und gleichzeitig ästhetisch rübergebracht – die große Kunst von Stephan Remmler.
Doch wie wurde aus einem verbeamteten Provinz-Lehrer Deutschlands wohl größter musikalischer Zuspitzer und lässigster Performer? Im Ruhrpott (Witten) geboren und an der Nordseeküste (Bremerhaven) aufgewachsen, erlebte Remmler hier seine musikalische Initialzündung bei einem Besuch des „King“, wie er später verriet: „Meine Erweckung zum Rock’n Roll war Elvis.“ Über Gesangswettbewerbe empfahl er sich für ein erstes Sänger-Engagement, in der Band „Just Us“.
Vom „Unterweser-Jagger“ zum Schlagerbarden
Hier etablierte sich Remmler mit eindrucksvollem „Stones“-Covergesang als „Mick Jagger von der Unterweser“, ehe er unter dem Pseudonym „Rex Carter“ mehrere Singles veröffentlichte, die jedoch deutlich mehr dem Schlagerbereich zuzuordnen waren. Ein Versuch, von dem er später sagte: „Das war nichts, und das ist auch gut so.“ Danach arbeitete er drei Jahre lang in seinem bürgerlichen Beruf, als Lehrer an einer Hauptschule in Bevern, ehe er sich doch nochmal ganz der aktiven Musik zuwandt.
Mit seinem früheren Band-Kollegen Gert „Kralle“ Krawinkel mietete er sich ein Haus im beschaulichen Großenkneten. Für die Idee einer neuen Band gewannen sie den Schlagzeuger Peter Behrens. So entstand „Trio“. Und die gemeinsame Losung lautete: Oben wohnen, unten musizieren. Der Rest ist Geschichte. Eines Tages experimentierte er daheim mit seinem Mini-Keyboard, während „Kralle“ im Keller an der Gitarre probte. „Und dann hab ich gemerkt, dass da eine Verbindung entstehen kann“, so Remmler, „und das haben wir dann weitergeführt.“ Und wie! Heraus kam nämlich nichts Geringeres als der Welthit „Da da da“, der bis heute zu den erfolgreichsten deutschen Songs gehört und sich alleine als Single weltweit über 13 Millionen(!) Mal verkauft hat.
Schnörkellose Musik mit neuartiger Performance
Das darin perfektionierte Erfolgsgeheimnis der Band: Eine aufs Wesentlichste reduzierte Musik ohne überflüssige Schleifen und Schnörkel. Und eine bis dahin nicht gekannte Performance, die besonders durch Sänger, Texter und Vordenker Frontmann Remmler eine neuartige Dimension erfuhr: Da stand plötzlich einer auf der Bühne, der Kaugummi kauend in die Wohnzimmer grinste, der mit reptilienartigen Augenbewegungen den unerbittlichen Blick jeder TV-Kamera keck erwiderte, der geradezu mit ihnen zu flirten schien. Dem zeitgenössischen Herz- und Weltschmerz hielt Remmler seine Ausstrahlung entgegen: Cool bleiben, und alles wird gut!
Klar, und offenkundig miteinkalkuliert, dass diese ungewohnte Form der Präsenz bei Teilen der etablierten Zuschauerschaft zunächst eher auf Ent- als auf Begeisterung stieß. Die bis dato schöne, reine Vorabend -Schlagerwelt erhielt eine wegweisende Brechung ihres Mitklatsch-Kosmos. Doch schon bald hatten Remmler und die Band damit das Publikum komplett in der Hand und bauten es gar in ihre Auftritte ein. Die „Hitparade“ wurde liebstes Thema auf dem Schulhof, der „Trio“-Hit „Herz ist Trumpf“ im Herbst 1983 meistgenanntes Lieblingslied im Grundschul-Poesiealbum.
Für diese generationenübergreifende Popularität sorgte vor allem Remmlers Nahbarkeit: Er war immer „echt“, sein Publikum konnte ihn „fühlen“. Subtil und hintersinnig zwar, aber – geradezu wohltuend im Vergleich zu manch‘ hochtrabendem Haltungs-Barden – nie beißend, herablassend oder belehrend. Stattdessen sich selbst und die (Musik-)Welt nicht so wichtig nehmend. Und damit immer, bei aller oft zwischenmenschlichen Tragik, mit der tröstlichen Verheißung auf ein versöhnliches Ende. Alles ausgedrückt mit einem Augenzwinkern.
Und so glaubt man dem Sänger vorbehaltlos, was er 2015 zu Protokoll gab: „Wir wollten nicht polarisieren, die Gesellschaft stürzen oder jemandem vor den Kopf stoßen, sondern haben uns der Musik verpflichtet gefühlt.“ Und bezogen auf den reduzierten Sound und minimalistische Präsentation: „Die Absicht war, zu zeigen: Das kann ja jeder.“ Und das war die eigentliche Botschaft des lässigen Branchen-Revoluzzers: Er hob die Distanz auf zwischen Bühne und Publikum. Er führte die Musik zurück zu ihrer Ur-Idee: Als verbindendes Element, hinweg über alle Gesellschafts-Schichten und Grenzen.
Solo-Karriere nach „Trio“
Diesen Stil pflegte Remmler auch nach dem Ende von „Trio“ in seiner Solo-Karriere, mit der er nahtlos an die Band-Erfolge anknüpfte. Auch hier schaffte er es scheinbar spielerisch, menschliche Widersprüche zu versöhnen. Sowohl in „Keine Sterne in Athen“, als auch in „Alles hat ein Ende nur die Wurst hat zwei“ standen Text und musikalische Form einander fast schon diametral entgegen. Und trotzdem – oder gerade deswegen – etablierten sich beide als zeitlose Stimmungshits. So darf man sich sicher sein, dass seine Verlierer-Hymne „Einer ist immer der Loser“ trotz „Ich-Erzählung“ alles ist, aber nicht autobiographisch.
Wer so verlässlich auf die Wirksamkeit seines eigenen Kompasses zählen kann, bei dem wundert es nicht, wenn er sein künstlerisches Spektrum immer nochmal in eine ganz andere Richtung erweitert. Kurz vor seinem 69. Geburtstag veröffentlichte Remmler als Autor das Buch „Heinrich Schweinrich und die fliegenden Krokodile“ – auf Basis alter, von ihm improvisierter Bett-Bring-Geschichten für seine Kinder.
Gestern wurde Stephan Remmler 75 Jahre alt. Ich wünsche ihm alles Gute! Und uns, dass er noch viele weitere tolle Einfälle zu Papier bringt. Oder auf Tonträger. Oder Kaugummi kauend in eine Kamera.
Bildquelle:
- Stephan_Remmler: dapd