Meine sentimentale Reise durchs verschneite Fürstentum Lippe

Liebe Leserinnen und Leser,

das Wissen um die eigene Heimat ist nicht nur wichtig, es gehört übers ganze Leben betrachtet zu den richtigsten Dingen überhaupt. Heimat ist der Ort, aus dem man stammt und der Platz, wo man hingehört. Auch wenn zum Leben – wie bei einem Journalisten wie mir – häufige Ortswechsel immer dazugehören.

Ich stamme aus Bad Salzuflen im schönen Lippe, einem einstigen Fürstentum, das bis heute mit der lippischen Rose im Landeswappen von Nordrhein-Westfalen seinen festen Platz neben den großen Volksstämmen der Rheinländer und der Westfalen hat. Genau genommen bin ich im Ortsteil Holzhausen-Sylbach aufgewachsen, 3.178 Einwohner.

Den will der amtierende Bürgermeister Dirk Tolkemitt wie alle anderen Ortsteile abschaffen, erzählte man mir  gestern Abend am Rande des bürgerlich-konservativen Stammtisches, den mein Freund Claus dort für mich bestens organisiert hatte. Ich kenne Dirk Tolkemitt  noch von der Jungen Union, wo wir 1979 bei einer heftigen Personalauseinandersetzung (leider) auf unterschiedlichen Seiten standen. Aber die Abschaffung aller Ortsteile und die damit verbundene Zentralisierung finde ich nicht gut. Weder in der Kommunalpolitik, noch bei Europa.

Aber zurück zu uns Lippern

Man sagt uns nach, dass wir knauserig sind, abends vornehmlich Mettwurst- und Schinkenbrot essen und Pils dazu trinken. Oft trinken wir auch Korn dazu. Und – so lernte ich gestern beim Frühstück mit einem guten Freund und früheren Verwandten aus dem Lemgoer Stadtteil Hörstmar –  ab 80 Jahren sollte der Lipper jeden Abend vor dem Schlafengehen mindestens einen Wacholder trinken, sonst besteht die große Gefahr, am nächsten Morgen tot im Bett zu legen.

Beim Mittagessen in Lage erzählte ich meinem Onkel (88) von dieser Anekdote, die aber gar keine zu sein scheint. Denn er berichtete, dass seine Mutter – meine Oma Emma – auch jeden Tag einen Wacholder trank, um gesund zu bleiben und alt zu werden. Das funktioniere aber nur, wenn der Wacholder warm sei, zumindest Zimmertemperatur hätte. Meine Großmutter wurde weit über 90.

Was müssen Sie noch wissen?

Der Lipper ist mehrheitlich protestantisch, schert sich aber wenig drum, außer wenn Hochzeit, Taufe oder Begräbnis ist. Wird jemand zu Grabe getragen, trifft man sich anschließend im Gasthaus zu Filterkaffee und Butterkuchen. Danach trinkt man Korn oder Wacholder, damit man nicht bald selbst im Mittelpunkt eines solchen Festes steht.

Wir sind stolz auf die „Lippischen Schützen“, die dereinst ausrückten, um im Krieg gegen Frankreich entscheidend für das deutsche Vaterland einzugreifen. Weil sich der Marsch an die Front aber durch Saufgelage und amouröse Unterbrechungen verzögerte, trafen die lippischen Special Forces erst in Frankreich ein, als der Krieg vorbei war.

„Und als wir marschierten nach Frankreich herein da tat der Krieg schon zu Ende sein.
Da schütteten wir uns erstmal einen rein und gründeten einen Kriegergedenkverein.“

So heißt es in dem berühmten Lied von den Lippischen Schützen, das noch heute gern bei – na klar – Schützenfesten im Vollrauch geschmettert wird.

Sie merken, ich liebe meine Heimat aus vollem Herzen, auch wenn ich seit Jahren unsere Nationalspeise, den lippischen Pickert, nicht mehr genossen habe. Pickert, das ist so gaaaanz ungefähr etwas, das an Reibekuchen erinnert, aber keiner ist. Denn der enthält kein Mehl. Pickert besteht aus geriebenen rohen Kartoffeln, die mit aufgekochter Milch verrührt wird. Dann Hefe, Zucker und viel Salz rein, und ab in die Pfanne! Schmeckt wunderbar, viel besser als Reibekuchen. Man streicht dann bei Tisch lippische Landleberwurst oder Rübenkraut drauf. Dazu wird Bohnenkaffee gereicht. Und als Abschluss – klar – Wacholder.

Vielleicht liegt es an meinem Alter, aber wenn ich im Auto von der A2 abfahre, durchs Kalletal und die wunderschöne Hansestadt Lemgo mit den phantastischen Fachwerkhäusern und dem Hexenbürgermeisterhaus, dann über die Residenzstadt Detmold und Lage, wo der Stammsitz der Kelles war, bis nach Bad Salzuflen, wo angeblich einer der schönsten Weihnachtsmärkte in NRW gerade zelebriert wird, dann werde ich schnell sentimental.

Eigentlich müsste ich meinen Lebensabend hier verbringen, es fühlt sich alles so vertraut an. Die Bratwurst vom Rost schmeckt hier, wie eine Bratwurst schmecken muss. Am Donnerstag war ich beim TBV Lemgo, um den Handball-Sieg gegen Eisenach zu feiern. Nachher fahre ich nach Bielefeld in den Tempel des deutschen Fußballs, um der Drittliga-Partie gegen Erzgebirge Aue beizuwohnen. Und wenn ich heute Abend wieder zu Hause bin, trinke ich erstmal einen Wacholder. Versprochen!

Schönes Wochenende Ihnen allen!

Ihr Klaus Kelle

P.S. Übrigens, unbhängige Medien können nur existieren, wenn Sie uns mit finanzieren! Spenden Sie also bitte gern auf PayPal @TheGermanZ oder auf unser Konto DE18 1005 0000 6015 8528 18…

Unterstützen Sie unsere Arbeit mit einer Spende

Jetzt spenden (per PayPal)

Jetzt abonnieren

Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.