«Matilda» kommt nach langem Streit ins Kino

Der russische Regisseur Alexej Utschitel bei einer Pressekonferenz in Moskau. Foto: Emile Alain Ducke

«Glaube mir, es bricht mir das Herz», schrieb der Star der Berliner Schaubühne an Utschitel, als er die Premiere im traditionsreichen Mariinski-Theater absagte. Eidinger spielt in dem Streifen den russischen Thronfolger Nikolaus, der sich in die Ballerina Matilda Kschessinskaja verliebt. Die Affäre ist belegt. Aber im freien Umgang mit der Geschichte stilisiert Utschitel sie hoch zum Konflikt zwischen Liebe und Staatsräson im späten Zarenreich.

Nach langem Warten bekommt das Publikum in Russland nun ein opulentes Historienmärchen mit hohem Schauwert zu sehen. In Deutschland läuft der Film unter dem Titel «Mathilde» am 2. November an.

Auch die guten Schauspieler mit Eidinger an der Spitze sprechen für den Film. Die kokette Kschessinskaja wird von der Polin Michalina Olszanska gespielt. Doch interessanter kommt die Staatsräson daher: Luise Wolfram, bekannt als BKA-Spezialistin Linda Selb im Bremer «Tatort», gibt streng die hessische Prinzessin und Zarenbraut Alix. Schaubühnen-Chef Thomas Ostermeier hat sein Filmdebüt als deutscher Arzt am Zarenhof, der mit sehr anfechtbaren Methoden behandelt.

Allerdings bemängeln erste russische Kritiken die flache Zeichnung der Charaktere. «Es sind alles Verlierer, keiner rafft sich auf zur Tat, und wenn jemand etwas tut, dann scheitert er», kritisierte der Journalist Witali Lejbin von «Russki Reportjor». Ein Meisterwerk für die Ewigkeit ist «Matilda» eher nicht.

Im Gedächtnis bleiben werden die Wunden, die die Kontroverse in der russischen Kulturpolitik geschlagen hat. Denn für einige orthodoxe Randgruppen ging die Fantasie zu weit: Der letzte Zar, 1918 von den Kommunisten ermordet, heiliggesprochen von der russischen Kirche, im Bett mit einer polnischen Tänzerin. Ein Sakrileg!

So begann im Herbst 2016 eine Kampagne gegen den Film. Kinobesitzern wurde mit Brandstiftung gedroht, Autos gingen in Flammen auf. Die Kritiker hielten Utschitel «Verletzung religiöser Gefühle» vor, das ist in Russland ein Straftatbestand.

Die Parlamentsabgeordnete Natalja Poklonskaja, eine glühende Verehrerin von Zar Nikolaus II., verunglimpfte Eidinger als Pornodarsteller. Sie hetzte den Filmemachern die Behörden auf den Hals. Mehr als 40 Eingaben der Abgeordneten habe man abgearbeitet, erstattete Generalstaatsanwalt Juri Tschaika in dieser Woche Bericht.

Poklonskaja sitzt für die Regierungspartei Geeintes Russland in der Duma. In dem Streit über Freiheit oder Grenzen der Kunst in Russland blieb lange unscharf, ob die Proteste eine Eigeninitiative waren oder ob sie für eine neue staatliche Linie standen.

Zwar solidarisierten sich viele Künstler mit Utschitel. Andere kritisierten ihn wie der kremlnahe Großregisseur Nikita Michalkow. Stardirigent Waleri Gergijew schwieg, obwohl sein Mariinski-Theater «Matilda» koproduziert und er die Musik eingespielt hat. Und während Russland sonst jede Art von Extremismus bekämpft, ließ die Polizei die gewalttätige Aktivisten-Gruppe «Christlicher Staat» (benannt in Anlehnung an den Islamischen Staat) lange gewähren.

Kulturminister Wladimir Medinski sprach sich erst im September für den Film aus. Der wirtschaftliche Schaden war da schon angerichtet. Die größten russischen Kinoketten weigerten sich zeitweise, «Matilda» ins Programm zu nehmen. Eine Werbekampagne gibt es nicht.

Einige russische Beobachter vermuten, der Streit über «Matilda» habe vom 100. Jahrestag der Oktoberrevolution am 7. November ablenken sollen. Das ist für das Land ein schwieriger Gedenktag. «Ein Kostümstück über den Thronfolger und eine Ballerina hat die Russen des 21. Jahrhunderts mehr interessiert als die Erinnerung an das Schicksal ihrer Vorfahren», schrieb der Journalist Sergej Schelin.

Bildquelle:

  • «Matilda»-Regisseur Alexej Utschitel: dpa

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