von GUIDO VON BIELENBERG
LÜTTICH – Georges Simenon gilt als einer der größten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Dabei ist er in Deutschland vor allem als Schöpfer des „Kommissar Maigret“ bekannt, der in „Maigret und sein größter Fall“ von Heinz Rühmann und im französischen Fernsehen drei Mal von Jean Gabin verkörpert wurde. Simenon stammte aus Lüttich. Was viele aber nicht wissen: auch wenn der Kommissar eigentlich in Paris angesiedelt ist, durchströmt viele seiner Romane die Atmosphäre der belgischen Stadt an der Maas. Simenon verband zeitlebens eine intensive Bindung an seine Geburtsstadt. Lüttich ist sowohl von Düsseldorf als auch von Köln gerade einmal 130 Kilometer, also etwa anderthalb Autostunden entfernt. Grund genug, der „feurigen Stadt“ („cité ardente“), wie Lüttich liebevoll von seinen Fans und Bewohnern wegen der früher hier Tag und Nacht glühenden Hochöfen genannt wurde, einen Besuch abzustatten.
Georges Simenon wird offiziell am 12. Februar 1903 in der Rue Léopold 24 Lüttich geboren. Offiziell, weil er angeblich am 13. Februar kurz nach Mitternacht geboren wurde. Seine abergläubische Mutter soll das Datum geändert haben, belgischer Pragmatismus eben. Jedenfalls erblickt Georges Simenon nur einen Katzensprung von der Place Saint Lambert entfernt das Licht der Welt. Heute verkommt das Gebäude langsam, so wie man den Niedergang der Stahlindustrie in der Region und die damit einher gehenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme immer noch vielerorts erahnen kann. Auch eine davon herrührende Melancholie macht den Charme dieser Stadt aus. Doch in den vergangenen Jahren wurde viel getan und investiert und die Schönheiten sowie der Glanz als Hauptstadt eines einstmals auch von den Wittelsbachern beherrschten Fürstbistums treten nun wieder deutlich zum Vorschein. In jedem Fall gilt Lüttich als nördlichste Metropole des französischen Sprachgebiets.
Auf den Spuren des Autors
Schon mit zwölf Jahren, als Schüler des Collège Saint-Servais in der Rue Saint-Gilles, steht für Georges Simenon fest, dass er Romane schreiben will. Den Anfang macht er später als Journalist bei der „Gazette de Liège“, wo er Kolumnen schreibt. Simenon ist ein enorm produktiver Autor, der es auf 193 Romane, 158 Novellen und mehrere Autobiografien bringt. Außerdem schreibt er zahlreiche Werke unter 27 verschiedenen Pseudonymen.
Um die Ecke der Place Saint-Lambert, hinter dem Rathaus („La Violette“), befindet sich Simenons Statue. Er sitzt auf einer Bank, die Pfeife im Mund, und lädt Passanten ein, sich einen Moment zu ihm zu setzen. Ein Stück weiter auf dem Rundgang, den man übrigens auch anhand eines eigens ausgewiesenen Wanderwegs nachvollziehen kann, an der Place du Marché, steht der Name Arnold Maigret auf einer Gedenktafel für die Kriegsteilnehmer 1914-18. Der Pariser Kommissar Maigret (1931) ist zwar die berühmteste Figur des Lütticher Schriftstellers und die Romane spielen überall in der Welt, sogar in Bremen – aber Simenon lässt sich in seinem Werk häufig von seiner Geburtsstadt in Belgien inspirieren. Und Kommissar Maigret selbst hat einige Gemeinsamkeiten mit dem Autor: Er raucht Pfeife, schätzt gutes Essen und ist einem Gläschen im Bistro nie abgeneigt, zum Beispiel mit der Lütticher Variante des Genever, dem Pékèt.
Überquert man die Maas auf dem Pont des Arches, gelangt man zur Kirche Saint-Pholien in Outremeuse. „Der Gehängte von Saint-Pholien“ dürfte eines der bekanntesten Bücher von Georges Simenon sein. Die Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit von 1922, über die Simenon in der „Gazette de Liège“ schrieb. Auch „Maigret und der Spion“ und „Die Verbrechen meiner Freunde“ sind „Lütticher“ Werke. Das „Republik Outremeuse“ genannte Lütticher Viertel gedenkt Georges Simenon am ausführlichsten. Von der Büste des Autors an der Place du Congrès über die heutige Rue Georges Simenon bis zur Place de l’Yser, wo die nach ihm benannte Jugendherberge liegt. Hier schaute der kleine Georges seinem Vater jeden zweiten Sonntag bei den Übungen der Zivilgarde zu. Während des Kriegsdienstes verschlug es den Milizionär Simenon nicht weit: Er war in der Kaserne am Boulevard de la Constitution stationiert. Und mit seinen Künstlerfreunden traf er sich im „La Caque“ in der Impasse de la Houpe nahe dem Maasufer und dem Quai des Tanneurs.
Den Uferstraßen folgend, kommt man zum Quai de Gaulle, der zu Simenons Zeit noch Quai des Pêcheurs hieß. Dort lag Simenons Jacht „L’Ostrogoth“. An Bord dieser Jacht soll Simenon seinen ersten Maigret geschrieben haben. Am Ende des Quai de Gaulle überquert man die Passerelle, um Outremeuse zu verlassen. Diese Fußgängerbrücke hat Simenon sicherlich häufig benutzt, ganz wie die Lütticher heute. Der Weg führt nun zur Stiftskirche Saint-Denis, wo die Familie Simenon die „vornehme“ Messe um halb elf zu besuchen pflegte.
Aber nicht zuletzt auch die gotische Sankt-Pauls-Kathedrale als Bischofssitz des Bistums Lüttich nimmt einen schnell ein für diese reizvolle und geheimnisvolle Stadt an der Maas. Schon an nur einem Wochenende kann man dort regelmäßig viel erleben, zum Beispiel freitags auf dem Flohmarkt am Boulevard de la Constitution oder sonntags auf dem Wochenmarkt „La Batte“ am Quai de Maestricht. Wer übrigens kein Französisch spricht, bekommt in Lüttich keine Probleme: die Provinz ist offiziell zweisprachig mit Französisch und Deutsch und viele freundliche Stadtbewohner werden sich bemühen, wenigstens ihr Schuldeutsch zu aktivieren.
Bildquelle:
- Lüttich: gvb