von MARTIN D. WIND
ESSEN – In diesem Wahlkampf, so Arnold Vaatz (CDU), von 1998 bis 2021 Dresdner Bundestagsabgeordneter, habe es an den eigentlich wichtigen Themen gefehlt. Während der Eröffnungsrede bei der „6. sechsten Vollversammlung der wahren Schwarmintelligenz“ kam er schnell „zur Sache“ und ordnete das Wundenlecken der CDU nach der verheerenden Wahlniederlage mit deutlichen Worten ein. Für Vaatz ist klar: „Armin Laschet jetzt die Schuld für die furchtbare Niederlage der Union aufzubürden ist ein Ablenkungsmanöver. Es ist ein billiges Ablenkungsmanöver für jene, die die Fehler vorher gemacht haben.“
In prägnanten Stichpunkten arbeitete er sich vor – ausgehend vom Versagen der EU, dessen negativen Folgen, bis hin zu der verheerenden Wirkung der Lehr- und Forschungsschwerpunkte im deutschen Bildungsbetrieb. Vaatz ist sicher, dass das arrogante Auftreten der EU zu einer Erosion des Zusammenhaltes in der europäischen Gemeinschaft führen werde. Für ihn sei es unbegreiflich, wie die EU gegenüber den osteuropäischen Ländern auftrete, die unter großen Opfern und schweren Verlusten die Demokratie erkämpft haben: „Polen und Ungarn sind keine Demokratielehrlinge!“
Mit Blick auf die maßlose Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) zeigte er die oszilierenden Kräfte zwischen Handelsvolumen und Geldmenge auf, die in einer Inflation enden mussten. Sein Fazit: „Das ist eine Entwertung dessen, was wir erreicht, was wir erarbeitet haben.“ Innerhalb der Union sei er mit dem Thema auf keine Resonanz gestoßen bzw. habe eher negative Reaktionen erfahren.
Trotz der großen Folgen für die Gesellschaft kam auch das Thema „Zuwanderung“ im Wahlkampf nicht vor, außer wenn Themen angesprochen wurden, die „im Wahlkampf nicht vorkommen“. Für Vaatz ist klar, dass am Asylrecht nicht zu rütteln sei. Er plädierte dafür, die völlig verwischten Grenzen zwischen Asyl und Einwanderung, politisch wieder klarer zu ziehen und zu definieren. Wichtig für ihn ist dabei, dass der „Hausherr“ die Regeln bestimmt und nicht fremde Interessengruppen ihre Ziele in der Einwanderungs- und Asylpolitik diktieren.
Ein bitteres Fazit zog Vaatz mit Blick auf die Bundeswehr, die nicht mehr in der Lage sei, ihre Aufgabe erfolgreich zu erfüllen: die Landesverteidigung. Die politische Demontage der Bundeswehr ging seiner Ansicht nach einher mit der ideologisch getriebenen Zerrüttung des transatlantischen Verhältnisses. Hier wurde die Person Trump dazu benutzt, um den Partner madig zu machen. Folge dies Verhaltens werde eine vollkommene Marginalisierung der EU sein, sie werde sich völlig isolieren und bedeutungslos werden.
Ebenso verheerend sei die Energiepolitik. Vaatz konstatiert, dass die Grundversorgung Deutschlands alleine durch regenerative Technik, nicht sicherzustellen sei. Es sei völlig aussichtslos, die CO2-Freisetzung ohne die Nutzung der Kernenergie mindern zu wollen. Andere Länder hätten das lange schon erkannt, nur Deutschland sei da offenbar beratungsresistent. Man habe in Deutschland lange eine Atmosphäre der Angst gegenüber der Kernenergie geschürt. Die Bemühungen der Grünen, Physik als Schulfach abzuschaffen, sei symptomatisch für diese beängstigende Tendenz.
Wie man sich in der Union und im politischen Berlin unbeliebt machen kann, erklärten ungehaltene Reaktionen bei der Erwähnung der Entwicklungen im Sozialsystem. Laut Vaatz wissen alle, dass einer zunehmenden Zahl Leistungsempfängern eine rapide abnehmende Zahl Einzahler in die Sozialkassen gegenüber stehen. Das kann und soll – politisch gewollt – zunehmend durch Mittel aus dem Steueraufkommen abgefedert werden. Das sei aber erklärtermaßen nicht Ziel dieses Beitragssystems auf Gegenseitigkeit gewesen. Auch zu diesem Problem gab es nur Schweigen im Wahlkampf.
Wer aufmerksam den Wahlkampf verfolgt hat, musste feststellen, dass außer bei der FDP das Thema „Landwirtschaft“ nicht vorkam – außer man missbrauchte sie als Feindbild. Auch hier sah Vaatz einen Mangel an Aufmerksamkeit angesichts der Probleme, vor die die bäuerlichen Rohstoff- und Lebensmittelproduzenten seitens der Politik gestellt werden. Ein wirtschaftliches Produzieren werde so unmöglich.
Und so setzte es Schlag auf Schlag: Große Infrastrukturprozesse sind von Einspruchsrechte gefährdet wie z. Verbandsklagen, einem Vierteljahrhundert Planungen und Rechtsstreitigkeiten, bis sie endlich gestartet werden können. In der Forschungspolitik schlägt sich eine irrationale Technikfeindlichkeit nieder: Für technische Forschung gibt es kaum noch Fördergelder. Hingegen erhalten ideologisch erwünschte Forschungsfelder reichlich Zuwendungen aus der Politik. Die Absolventen seien im Alltag nicht sinnvoll einzusetzen und landeten auf überflüssigen Strukturposten um in Ruhe weiter beschäftigt zu sein. Als Forschung könne man das nicht bezeichnen, weil Forschung, so Vaatz bitter, ergebnisoffen betrieben werden müsse.
Trotz des Bemühens, möglichst „freundlich“ zu formulieren, gelang es Arnold Vaatz nicht, seine schwere Enttäuschung über die Bildungspolitik darzustellen: „Vor 50 Jahren erreichten 15 Prozent der Schüler das Abitur. Heute sind es 50 Prozent. Da die durchschnittliche Intelligenz der Menschen zumindest nicht zugenommen hat, kann man daraus etwas über das Niveau des Abiturs heute ableiten.“
Als Nährboden dieser Entwicklungen markierte Vaatz verschiedene gesellschaftliche Aspekte in Deutschland: Rationales werde im weniger im Diskurs, Religion werde ersetzt durch absolutes „Gutes“ und „Böses“, die Medien wirkten so, wie die Inquisition immer dargestellt werde, Entwicklungszusammenarbeit wird als Ablasshandel genutzt, die politisch korrekte Sprachgängelung geriere sich als moderner Gesslerhut – und all diese Missstände würden befördert von öffentlich rechtlichen Sendeanstalten, die völlig unantastbar ihre politisch schlagseitige Sicht der Welt unters Volk brächten. Solange dieses Problem nicht geändert sei, werde sich an all den oben skizzierten Misständen nichts ändern, so das niederschmetternde Fazit des ehemaligen Bundestagsabgeordneten. Eine beklemmende Schlussfolgerung.
Bildquelle:
- Arnold_Vaatz_Schwarm: dpa