von STEFAN MEETSCHEN
„Ich bin dafür und sogar dagegen.“ (Jestem za, a nawet przeciw) Der frühere polnische Arbeiterführer, Staatschef und Nobelpreisträger Lech Walesa hat das einmal gesagt; und längst ist dieses Paradoxon ein geflügeltes Wort in Walesas Heimat geworden. Ein Witz in Kurzform, sozusagen. Lange Zeit habe ich mich über diese Aussage auch amüsiert, aber mittlerweile ist „Ich bin dafür und sogar dagegen“ so etwas wie meine neue Lebensdevise geworden. Mein weltanschauliches Mantra. Vor allem, wenn es um Politik und Glaube geht. Ein paar Beispiele?
Nehmen wir die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel und Martin Schulz. Als Christ bin ich natürlich dafür, Menschen in Not zu helfen. Unbegrenzt, ohne Rücksicht auf eigene Verluste. Als Bürger der Europäischen Union sehe ich allerdings, dass es Grenzen und Gesetze gibt und geben muss, die einzuhalten sind, weil Europa nicht die ganze Welt retten kann und unter der großen Schar der wirklich Hilfsbedürftigen eben leider auch solche Personen sind, denen es lediglich darum geht, die Sozialsysteme Europas auszubeuten oder – noch viel schlimmer – Europa mit Terroraktionen in Angst und Schrecken zu versetzen. Meine Haltung zur bisherigen Flüchtlingspolitik ist also ganz klar: Ich bin dafür und sogar dagegen.
Ähnlich paradox oder Walesa-esk ist meine Einstellung gegenüber dem neuen US-Präsidenten Donald Trump. Toll, dass er sich offenbar für den Lebensschutz und einen neuen wirtschaftlichen Aufschwung seines Landes einsetzt, aber eine Mauer zu bauen und Andersdenkende (liberale Medien, politische Gegner, Muslime) auf unflätige Weise zu beschimpfen – was er gemacht hat – das kann ich beim besten Willen nicht gutheißen. Das finde ich stillos, politisch unakzeptabel und extrem gefährlich für die demokratische Entwicklung des Westens. Also gilt auch hier: Ich bin dafür und sogar dagegen.
Womit ich zu Papst Franziskus komme, den ich als Katholik ohne Kadavergehorsam ehre und respektiere, denn er ist immerhin der Stellvertreter Christ oder wenigstens der Stellvertreter Petri, was ja auch nicht schlecht ist. Ich schätze an ihm, dass er einen Sinn für Literatur hat, offensichtlich zuhören und beobachten kann. Und ebenso wie Lech Walesa und ich gelegentlich der Devise „Ich bin dafür und sogar dagegen“ folgt – jedenfalls kommt mir seine Einstellung gegenüber traditionalistischen Gruppen so vor. Was ich nicht mag, ist der Umstand, dass er manchmal für Missverständnisse und Unklarheit bei den Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche sorgt. Ein Schicksal, das Lech Walesa und ich natürlich auch öfter erleiden müssen. Mit unserer freigeistigen Haltung. Wir sind aber halt nur Stellvertreter unserer selbst oder unseres jeweiligen Spleens.
Doch ich weiß schon: eigentlich scheint die Haltung „Ich bin dafür und sogar dagegen“ nicht so richtig in unsere digitale Highspeed-Zeit zu passen. Wer in Politik und Kirche mitmischt, muss entweder 150-prozentig für etwas oder 150-prozentig gegen etwas sein. Wer in einer Talk-Show auftritt, ebenso. Und wer bei Twitter oder Facebook etwas postet, nicht minder. Zuspitzung, Dramatisierung – darum geht es. Ich weiß. Ist ja auch okay. Ich meine: Ich bin dafür und sogar dagegen.
Bildquelle:
- Lech_Walesa: radio free europe