ISTANBUL – Bei den schlimmen Erdbeben in der Türkei und Syrien sind knapp 7700 Menschen ums Leben gekommen. Der türkische Gesundheitsminister Fahrettin Koca nannte am Dienstagabend die Zahl von 5894 Toten allein in der Türkei. Das meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Noch immer werden viele Menschen unter den Trümmern eingestürzter Gebäude vermutet.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan rief den Ausnahmezustand in zehn vom Beben betroffenen Provinzen aus. Bei einem Telefonat mit dem Staatschef sicherte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) weitere Unterstützung zu.
Seit den schweren Beben am Montag steigt die Opferzahl. Am Dienstagabend lag sie bei knapp 7700. In Syrien starben laut den Behörden sowie der Rettungsorganisation Weißhelme fast 1800 Menschen. Bisherigen Informationen zufolge wurden in der Südtürkei und in Nordsyrien mehr als 34.810 Menschen verletzt.
Das Erdbeben der Stärke 7,7 bis 7,8 hatte am frühen Montagmorgen das Gebiet an der Grenze zwischen der Türkei und Syrien erschüttert. Am Mittag folgte dann ein weiteres Beben der Stärke 7,5 in derselben Region. Tausende Gebäude stürzten ein. Im Katastrophengebiet herrschten Temperaturen um den Gefrierpunkt.
Baerbock fordert Grenzöffnungen in Syrien
Während in der Türkei Hilfe großflächig angelaufen ist, warten viele Betroffene in Syrien auf Rettungsteams. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) forderte deshalb die Öffnung aller Grenzübergänge zu Syrien. Derzeit gebe es nur einen offenen Grenzübergang, der bei dem Erdbeben aber beschädigt worden sei. «Deswegen ist die Öffnung der Grenzübergänge so zentral.» Alle internationalen Akteure – Russland eingeschlossen – sollten «ihren Einfluss auf das syrische Regime nutzen, dass die humanitäre Hilfe für die Opfer dort auch ankommen kann.» Es dürften keine zusätzlichen Hürden aufgebaut werden.
International ist die Hilfe angelaufen. Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu sagte, 3319 Such- und Rettungskräfte aus 36 Ländern seien ım Einsatz. Auch deutsche Hilfsteams haben ihre Arbeit aufgenommen. Helfer der Organisation I.S.A.R. seien am Dienstag an der Rettung einer verschütteten Frau beteiligt gewesen, teilte die Organisation mit, die in der stark beschädigten Stadt Kırıkhan in der Nähe der türkisch-syrischen Grenze hilft.
«13,5 Millionen unserer Bürger direkt betroffen»
Viele Menschen können nicht in ihre Häuser zurück, weil die Gebäude eingestürzt sind oder eine Rückkehr wegen der Nachbeben zu gefährlich wäre. «Dieses Erdbeben hat 13,5 Millionen unserer Bürger direkt betroffen», sagte der türkische Städteminister Murat Kurum. Manche Straßen und Wege seien nicht zugänglich, man arbeite daran, sie passierbar zu machen. «Der Schmerz ist unbeschreiblich.»
Nach einer ersten Einschätzung der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften (IFRC) sind voraussichtlich 150.000 Menschen in der Türkei obdachlos geworden. Allein im südtürkischen Kahramanmaras seien bisher 941 Gebäude vollständig zerstört worden, sagte Innenminister Süleyman Soylu.
Der türkische Präsident Erdogan rief den Ausnahmezustand aus, um so «sicherzustellen, dass die Such- und Rettungsarbeiten und die anschließenden Arbeiten schnell durchgeführt werden». Der deutsche Kanzler Scholz sicherte Erdogan am Dienstagnachmittag «weiter umfassende Unterstützung zur Bewältigung dieses Unglücks» zu, teilte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Abend mit.
Syrische Region Idlib mit am schwersten betroffen
Retter in Syrien vermuten, dass noch immer Hunderte Familien unter den Trümmern begraben sind. Eines der am schwersten betroffenen Gebiete ist die Region Idlib unter Kontrolle der Rebellen. Dies erschwert dort die staatliche Nothilfe. Nach mehr als elf Jahren Bürgerkrieg kontrollieren Regierungstruppen des Machthabers Baschar al-Assad wieder rund zwei Drittel Syriens.
Nach UN-Angaben trafen die Beben in dem Bürgerkriegsland vor allem Menschen, die ohnehin schon in großer Not lebten. Viele der Binnenflüchtlinge, die vor der Katastrophe in baufälligen Unterkünften wohnten, mussten die Nacht bei eisigen Temperaturen im Freien verbringen, wie eine Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR der Deutschen Presse-Agentur sagte.
In den Wirren der schweren Erdbeben brachen Aktivisten zufolge rund 20 Anhänger der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) aus einem Gefängnis aus. Sie nutzten demnach das Chaos aus und bestachen Gefängniswärter mit Geld, wie der Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel Rahman, sagte.
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- Hatay: dpa