von MANUEL OSTERMANN
Stellv. Bundesvorsitzender Deutsche Polizeigewerkschaft
Unsere Kinder gehören besonders geschützt und genau deshalb hat der Bundestag endlich schärfere Mittel für die Verfolgung von Missbrauchstätern beschlossen. Im Kampf gegen Kinderpornografie bekommen Ermittler nun mehr Befugnisse, und der Versuch des bereits strafbaren Cybergroomings wird zukünftig folgerichtig unter Strafe gestellt.
Der Campingplatz „Eichwald“ in Lügde (NRW) hat traurige Berühmtheit erlangt. Rund 20 Jahre lang wurden hier schreckliche Verbrechen an Kindern verübt, grauenhafte Sexualdelikte an mindestens 34 von ihnen, das jüngste Opfer erst vier Jahre alt. Dem Haupttäter wurden insgesamt 460 Fälle konkret vorgeworfen, teilweise filmten die Täter ihre Taten. Mehr als 5.000 Bild- und Videodateien mit kinderpornografischem Material wurden sichergestellt. Mittlerweile sind erste Urteile gefallen, zwei Angeklagte wurden zu hohen Haftstrafen und anschließender Sicherungserwahrung verurteilt.
Die Qualen der Opfer waren unbeschreiblich, das Vorgehen der Täter perfide, unfassbar brutal und menschenverachtend. Die Versäumnisse von Behörden sind vielfach beschrieben, ein Landrat trat zurück, Ermittlungsverfahren gegen Beschäftigte laufen noch. Ob es einen Zusammenhang mit anderen Taten und anderen Orten gibt, möglicherweise einen Kinderporno-Ring, der weit über Lügde hinausgeht, ist noch immer Gegenstand umfangreicher Ermittlungen.
Der Landtag NRW beschäftigt sich in einem Untersuchungsausschuss mit der politischen Aufarbeitung der Ereignisse. Polizei und Jugendamt stehen im Zentrum massiver Vorwürfe, den Behörden wird massive Schlamperei vorgeworfen, keine Reaktion auf konkrete Hinweise, verschwundene Beweismittel, Ermittlungspannen und manipulierte Akten, die Liste ist lang. Noch beim Abriss des Wohnwagens, in dem die Verbrechen geschahen, wurden weitere Datenträger gefunden, die bei vorherigen Durchsuchungen übersehen worden waren.
Und über allem die Fragen einer entsetzten Öffentlichkeit: Wie konnte das passieren? Warum haben die Behörden so reagiert, wie sie reagiert haben? Warum blieben so viele Warnsignale ungehört? Innenminister Herbert Reul sprach von „Polizeiversagen“, ein Kripo-Chef wurde abgelöst, eine Kommission mit mehr als 60 Ermittlungskräften eingerichtet, Reul versprach lückenlose Aufklärung und setzt dieses Versprechen auch konsequent und mit viel Herzblut um.
Aber auch die Arbeit der Jugendbehörden wird hinterfragt und zu recht. Dem Haupttäter war ein Kind zur Pflege anvertraut worden, deutliche Hinweise wurden ignoriert, das Chaos auf dem verwahrlosten Campingplatz interessierte niemanden, monatelang blieben die Täter von Besuchen des Jugendamtes verschont, eine Zusammenarbeit mit der Polizei war praktisch nicht existent. Bundesweit gibt es immer wieder Berichte über diese Vorgehensweisen der Jugendämter. Immer wieder kommen Kinder ums Leben, werden misshandelt, verhungern und verwahrlosen, obwohl die Jugendbehörden mindestens Hinweise hatten.
In Eberswalde (Brandenburg) wurde ein fünfjähriges Mädchen ins Krankenhaus eingeliefert, offensichtlich grob vernachlässigt, mit schweren psychischen und körperlichen Folgen. Jetzt kommt heraus: Vier Gefährdungsmeldungen blieben ungehört, Vorsorgeuntersuchungen gab es nicht, Gesprächs- und Hausbesuchstermine wurden abgesagt. Ein aufmerksamer Staatsanwalt, der von dem Kind aus der Zeitung erfuhr, leitete endlich ein Verfahren ein. Die Polizei wusste von nichts, das Jugendamt hatte sie nicht informiert.
Noch immer wehren sich Politiker gegen eine Meldepflicht für Jugendbehörden, lassen die Ämter personell dramatisch unterbesetzt und etablieren dort eine Kultur, die im Ergebnis dazu führt, dass die Täter lange Zeit unbehelligt bleiben. Schon das „Freiwilligkeitsprinzip“, mit dem Eltern in die „Gefährdungseinschätzung“ einbezogen werden, ist fraglich, denn es ist nun einmal so, dass sie oft die Täter sind. Und völlig schleierhaft ist, warum es den Jugendbehörden noch immer freigestellt ist, ob sie die Polizei informieren. In anderen Ländern muss das Elternrecht zu Gunsten des Kindeswohls zurückstehen. Richtig so.
Wir brauchen klare Strukturen und zielführende präventive Maßnahmen, um unsere Kinder zukünftig besser schützen zu können.
Zum Beispiel sollte Kinderschutz Pflichtfach in Erzieher- und Pädagogenausbildung werden.
Aufstocken der finanziellen- und personellen Ressourcen bei Jugendämtern, sowie eine „Fallobergrenze“ für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendämter.
Der Datenschutz darf in keinem Fall über Kinderschutz stehen.
Die Aufklärungsarbeiten haben begonnen und zeigen das schreckliche Ausmaß auf, welches solange tabuisiert wurde.
Jetzt muss es unsere Verantwortung sein, diejenigen zu schützen, die uns ganz besonders am Herzen liegen. Unsere Kinder.
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- Kindesmissbrauch_3: pixabay