„Kiewer Kotelett“: Vom widerlichen Zynismus russischer Diplomaten

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser!

NATO-Gipfeltreffen, Dringlichkeitssitzung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (UN) – der Ukraine-Krieg und alles an Themen drum herum bestimmen auch heute Morgen wieder die Schlagzeilen überall auf der Welt.

Das erste Opfer des Krieges ist immer die Wahrheit

Und das gilt für alle Kriegsparteien. Sie alle wissen, dass Desinformation – neudeutsch Fake News – regelmäßig wichtiger Teil der hybriden Kriegsführung gegen den Gegner ist. Hybrider Krieg, das ist das verbundene Vorgehen von Militär, wirtschaftlichen Maßnahmen und Medien zum Ziel, die andere Kriegspartei auf unterschiedlichen Ebenen, aber mit dem gleichen Ziel, zu beschädigen und dessen Kampfmoral zu schwächen, ebenso dessen wirtschaftliche Durchhaltekraft.

Nicht nur bei Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine werden solche Aktivitäten eingesetzt.

Als Hitlerdeutschland am 1. September 1939 den Zweiten Weltkrieg begann, ging den am Vortag ein von SS-Einheiten fingierter Überfall auf den Sender Gleiwitz voraus. Die Nazi-Propaganda verbreitete am Abend die Propagandageschichte, der Angriff auf den Sender sei das Werk von polnischen Freischärlern. Und, was soll man da machen? Klar, einen Weltkrieg beginnen, oder?

„Seit 5:45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen…“, verkündete Adolf Hitler im Reichstag, und seine Panzer rollten los.

Der „Tonkin-Zwischenfall“ 1964 und später die Behauptung, Saddam Hussein habe chemische Waffen und arbeite mit dem Terrornetzwerk Al Kaida zusammen, lieferten amerikanischen Regierungen den Fake-Vorwand, die Kriege in Vietnam und dann Irak zu führen.

Und jetzt die Russische Föderation Putins mit der Mär, die NATO bedrohe Russland und außerdem müsse man Faschisten in der Ukraine bekämpfen. Beides schwachsinnige Begründungen, die aber auch in Deutschland ein Publikum williger Amerikahasser finden.

Dass das besonders in manchen Teilen Ostdeutschlands zu verfangen scheint, hängt vermutlich auch mit der DDR-Propaganda von einst zusammen, die die Älteren aufgesogen haben. Amerika ist der Feind! Wenn man das jeden Tag eingetrichtert bekommt, glaubt man es halt. Und wenn ich dann Rentner bei Pegida-Demonstrationen in Dresden mit russischer Fahne sehe, möchte ich unwillkürlich zum Hörer greifen und 112 anrufen. Einen Notarzt bitte, hier leidet jemand am Stockholm-Syndrom!

Im UN-Sicherheitsrat das altbekannte Spiel

Nach dem schrecklichen russischen Angriff auf ein Kinderkrankenhaus in Kiew erzählte gestern der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja, der russische Angriff habe einer „Fabrik“ in der Nähe des Krankenhauses gegolten. Das Krankenhaus sei aber nicht von einer russische Rakete, sondern eine ukrainische Flugabwehrrakete getroffen worden. Nach Einschätzung der UN eine glatte Lüge.

Das Gebäude wurde, wie inzwischen zweifelsfrei nachgewiesen wurde, von einer russischen Rakete des Typs Kh-101 (Ch-101) direkt getroffen. Das ergab die Auswertung von Videoaufnahmen. Und der ukrainische UN-Botschafter Serhij Kislizia präsentierte bei der Dringlichkeitssitzung des Sicherheitsrats Fotos, die die genaue Flugroute des russischen Marschflugkörpers zeigten.

„Ich möchte diesen Rat daran erinnern, dass Krankenhäuser nach dem humanitären Völkerrecht besonderen Schutz genießen. Vorsätzliche Angriffe auf ein geschütztes Krankenhaus sind ein Kriegsverbrechen und die Täter müssen zur Rechenschaft gezogen werden“, sagte Joyce Msuya, die amtierende Chefin des UN-Nothilfebüros Ocha.

Die Faktenlage ist klar

Konsequenzen wird das alles nicht haben, denn Russland hat wie andere Großmächte im Weltsicherheitsrat ein Vetorecht. Es wird keine Verurteilung geben, keine Sanktionen der Staatengemeinschaft. Die Ukraine steht wütend daneben und trauert um 43 von Russland an einem einzigen Montag getötete und 200 verletzte Bürger ihres Landes.

Selbst China, der wichtigste Verbündete Putins in diesem Krieg, zeigte sich im UN-Sicherheitsrat erschüttert vom Angriff auf das Krankenhaus in Kiew. Der stellvertretende UN-Botschafter des Landes, Geng Shuang, sprach von „brutalen Angriffen, die viele Opfer forderten“, Peking sei „zutiefst beunruhigt“. Natürlich wird auch das nicht zu einer veränderten Haltung gegenüber Russland führen. Die UN ist ein zahnloser Tiger, die Hoffnungen auf Erfolge von Diplomatie werden auch in diesem Fall wieder enttäuscht.

Was für ein zynisches Regime in Moskau heute an der Macht ist, zeigte Russlands Vertretung bei der UN am Abend. Zur turnusmäßigen Übernahme des Vorsitzes im Sicherheitsrat hatte der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja zum Abendessen eingeladen. Auf der Speisekarte wurde „Kiewer Kotelett“ – auch abwertend „Hühnchen Kiew“ genannt – angeboten, außerdem Wein aus dem kalifornischen „Russian River Valley“. Eine Nebensächlichkeit, aber Ausdruck eines menschenverachtenden Zynismus, der selbst unter den Schurkenstaaten dieser Welt seinesgleichen sucht.

Der Westen muss die Ukraine weiter massiv unterstützen. Wenn das Land fällt, werden auch wir und unsere Kinder in diesem Teil der Welt nicht mehr in Frieden leben können. Dieses Russland ist weder unser Freund noch unser Partner. Er ist der Feind der Zivilisation an sich.

Ihr Klaus Kelle

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.