„Kanzler-Triell in seiner ganzen Provinzialität und Kleingeistigkeit: Der Verlierer heißt Deutschland

Die Kanzlerkandidaten Armin Laschet (M), Annalena Baerbock und Olaf Scholz vor der Sendung im TV-Studio in Berlin-Adlershof. Foto: Michael Kappeler/dpa Pool/dpa

von ULRIKE TREBESIUS

BERLIN – Politische Talkshows treiben mir immer zuverlässig den Puls nach oben, weswegen ich sowas seit Jahren nicht mehr schaue. Gestern nun habe ich mir fast zwei Stunden lang das sogenannte „Kanzler-Triell“ auf RTL (und ntv) angesehen. Doch habe ich mich diesmal wider Erwarten gar nicht aufgeregt. Bestürzt habe ich zugesehen und zugehört, wie sich die Bewerber auf eines der höchsten Ämter unseres Landes die Zukunft für Deutschland vorstellen. Zugegeben, es können die Antworten nur so gut sein wie die Fragen, die ihnen durch die Journalisten gestellt werden. Und da begann bereits das Problem.

Ich wurde Zeuge der politischen Nabelschau eines Landes, das mit seinen Ideen und Befindlichkeiten ganz um sich selbst kreist und dabei in Provinzialität und Kleingeistigkeit verharrt. Das sind also die Kandidaten, die wir als unsere politische Elite definieren? Befragt von Moderatoren, die wir ebenfalls als mediale Instanz verstehen? Ich gebe zu, ich bin immer noch erschüttert.

Annalena Baerbock hat ganz offensichtlich ein ordentliches Coaching absolviert. Es gab keine der üblichen sprachlichen Ausrutscher oder Versprecher. Sie sprach emotional und bildhaft, in einer klaren Sprache und mit anschaulichen Beispielen. Unabhängig davon, ob man ihre Inhalte teilt oder nicht, hatte doch jeder das von ihr kurz skizzierte Bild eines Kindes vor Augen, dessen alleinerziehende Mutter nicht genug Geld für einen Schulranzen hat. Nicht nur damit konnte sie sicherlich auch im bürgerlichen Lager punkten. Insgesamt konnte sie noch am ehesten glaubhaft für einen Neuaufbruch werben, wenn auch in eine Zukunft, die für Lastenfahrräder anstatt für High-Tech steht. Sowohl die Moderatoren als auch ihre Mitbewerber haben sie nur unzureichend in die Mangel genommen und die grünen Inhalte grundsätzlich hinterfragt.

Olaf Scholz hat sich staatsmännisch präsentiert und seine inhaltlichen Punkte gut durchgebracht. Er wirkte ruhig, sachlich, hanseatisch. Er ist das trojanische Pferd, dass Norbert-Walter Borjans, Saskia Esken und Kevin Kühnert in die Regierung bringen möchte und der im Moment keine Fehler macht. Wer die SPD wählen möchte, fühlte sich sicherlich von ihm bestärkt, auch wenn seine Aussagen zu einer Koalition mit den Linken den ein oder anderen verschreckt haben mag. Eine solche Koalition lehnt er nämlich nicht rundheraus ab – was er hätte tun sollen.

Armin Laschet trug wohl die schwerste Bürde. Denn er muss für eine Politik werben, die die enttäuschten und frustrierten liberalen und konservativen Wähler ebenso mitnimmt wie den Merkel-Fan-Club. Er versuchte im Abschluß-Statement sogar, dass Merkelsche „Sie kennen mich“ anzudeuten, indem er von Verlässlichkeit, Standfestigkeit und einem inneren Kompass sprach. Ein etwas unglückliches Bild, denn der Merkel-Kompass erinnert wohl eher an einen Ventilator. Laschet versuchte kämpferisch zu sein und anzugreifen. Allein man spürt die Differenz zwischen der freundlich-rheinischen Frohnatur, die er persönlich sicherlich ist, und dem toughen Regierungschef einer Industrienation, der er werden möchte und wendet sich peinlich berührt ab.

Nein, das war keine Sternstunde gestern Abend. Nicht für die deutsche Politik, nicht für den deutschen Journalismus, nicht für unser Land. Der Verlierer ist der Wähler, der zwischen Corona–Maßnahmen und Afghanistan–Einsatz, Klimaschutz und Abschaffung des Solis im Klein-Klein gefangen war. Keine großen Linien oder Entwürfe. Kein Mut, kein Aufbruch, kein Ziel, keine Idee, kein Traum. Nichts dergleichen. Ein müdes Gewurschtel von Provinz-Politikern.

Deutschland ist ein Land, das weit unter seinen Möglichkeiten bleibt. Die vielen Fehler der Merkel-Regierung liegen wie ein Betonklotz um den Hals unseres Landes und ketten unsere finanziellen und intellektuellen Fähigkeiten kurz an. Weder scheint unsere Gesellschaft das Ausmaß der angehäuften Probleme zu begreifen noch stehen mit Baerbock, Scholz und Laschet Politiker zur Wahl, die das Format haben, mutig Lösungen zu finden.

Das Kanzler-Triell war eine Lehrstunde über ein Land, dass inhaltlich eine Bankrott-Erklärung unterschrieben hat und sich freiwillig in die Mittelmäßigkeit verabschiedet. Wir kreisen um uns selbst und gebären dabei eine Maus. Es ist schon fast egal, wie sie heißen wird. Andere Länder werden gern bereit sein, unseren freiwerdenden Platz einzunehmen.

Bildquelle:

  • Wahl-Triell: dpa

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