Berlin – Mit der historischen Krankenhaus-Serie «Charité» betritt Filmregisseur Sönke Wortmann (57) Neuland. Erstmals inszeniert er mit dem ARD-Sechsteiler vollständig eine Serie für das Fernsehen.
Kleine Ausnahme: Bereits vor gut zehn Jahren drehte er die Pilotfolge der Sat.1-Serie «Freunde für immer – Das Leben ist rund». «Das ist ja ein Format, das einen unglaublichen Aufstieg erfahren hat», sagt Wortmann («Frau Müller muss weg!», «Deutschland. Ein Sommermärchen») im Interview der Deutschen Presse-Agentur. «Das ist auch ein Grund, warum ich das mal machen wollte. Man versucht auch, eigene Grenzen auszuloten.»
Nach vielen Filmen haben Sie eine Serie gedreht – und warum jetzt einen Mehrteiler, der im Krankenhaus spielt?
Jetzt, weil ich vorher noch nicht gefragt worden bin. Ausschlaggebend war auch nicht, eine Krankenhaus-Serie zu machen. Mich hat vielmehr diese Zeit sehr interessiert, das Wilhelminische Zeitalter mit den drei Kaisern in einem Jahr. Ich finde natürlich dieses Krankenhaus schon faszinierend. Es ist riesengroß und es ist sehr berühmt geworden – und zwar durch die Menschen, die 1888 dort gearbeitet haben. Deren Geschichte erzählen wir.
Sind Sie privat auch ein Serien-Gucker?
Ja, wie eigentlich alle mittlerweile. Das ist ja ein Format, das einen unglaublichen Aufstieg erfahren hat. Das ist auch ein Grund, warum ich das mal machen wollte. Man versucht auch, eigene Grenzen auszuloten.
Ist bei Ihnen auch Binge Watching angesagt, das Marathon-Schauen mit einer Folge nach der anderen?
Das ist ja der Vorteil, dass ich selbst entscheiden kann, wann ich gucke. Wenn ich Lust habe, mir mit einer Serie die Nacht um die Ohren zu schlagen, dann mache ich das auch.
Welche Serie schauen Sie zurzeit?
Ich habe gerade «Borgen» angefangen.
Wie unterscheidet sich beim Drehen ein Spielfilm von einer Serie?
Neu für mich war, dass man dramaturgische Bögen im Kopf haben muss. Beim Spielfilm ist mir das klar. Bei der Serie muss man innerhalb einer Folge einen Bogen haben, der aber gleichzeitig Teil eines Gesamt-Bogen ist. Da muss man relativ viel nachdenken, wenn man mit den Drehbuchautoren spricht. Das war letztlich auch die größte Herausforderung. Drehen ist dann das Ausführen dessen, was man sich vorher erdacht hat. Und wenn man da gut vorbereitet ist, dann geht das auch.
Im Jahr 1888 wurden Patienten in der Charité ohne fließendes Wasser, ohne elektrisches Licht und ohne Handschuhe operiert. Die Serie zeigt viele spannende Details aus dem Alltag der Wilhelminischen Zeit, die man als Zuschauer wahrscheinlich nicht kannte. Was hat Sie am meisten überrascht, als Sie das Drehbuch gelesen haben?
Mich hat im Prinzip nichts überrascht, weil mich nichts überraschen konnte. Ich kannte diese Zeit überhaupt nicht. Ich weiß nicht, ob die Wilhelminische Zeit in meiner Schulzeit überhaupt länger als eine halbe Stunde vorkam. Insofern habe ich da Neuland betreten, war aber dann sehr schnell fasziniert davon, was damals passiert ist – nicht nur medizingeschichtlich, sondern auch sozialpolitisch. Das war alles wahnsinnig spannend. Im Nachhinein habe ich mich gewundert, warum es so lange gedauert hat, bis im deutschen Fernsehen diese Zeit mal intensiv behandelt wird.
«Charité» erzählt Wissenschaftsgeschichte, die Geschichte der Frauenrechte, die politische Geschichte der Zeit und auch Liebesgeschichten – wie haben Sie es geschafft, da die Balance zu halten?
Ich gehe da so nach Gefühl. Fast alles ist ja durch Fakten auch belegt. Sechs von den acht Hauptfiguren gab es wirklich. Und wenn es dann heißt: eine Liebesgeschichte muss auch noch rein – warum nicht. Ich sehe es gerne, die Leute sehen es gerne. Wenn es glaubhaft ist, dann gehört so etwas auch in den Film. Es gibt ja zwei Liebesgeschichten: die von Ida Lenze und die von dem damals 47-jährigen Robert Koch, der sich in eine 17-jährige Schauspielerin verliebt hat und sie sich auch in ihn. Das ist genau so passiert. Die beiden haben auch geheiratet. Und sie waren verheiratet, bis der Tod sie schied. Wie romantisch!
Wird es eine Fortsetzung von «Charité» geben?
Wenn ganz viele Leute einschalten, dann ja.
ZUR PERSON: Sönke Wortmann (57) startete nach ersten Erfolgen wie «Kleine Haie» mit der Komödie «Der bewegte Mann» (1994) so richtig durch. Ein großes Publikum erreichte der in Düsseldorf lebende Wortmann auch mit seinen Fußballfilmen «Das Wunder von Bern» und «Deutschland – Ein Sommermärchen». Als Theaterregisseur ist der 57-Jährige ebenfalls aktiv. Zuletzt brachte er die Flüchtlingskomödie ««Willkommen» von Lutz Hübner und Sarah Nemitz auf die Bühne.
Bildquelle:
- ARD-Serie „Charité“: dpa