INTERVIEW Nach 43 Jahren hat Eugen Abler die Nase voll: „Es gibt keine Identifikationsfigur mehr in der CDU“

von THOMAS DÖRFLINGER

Dieser Austritt gab mir zu denken. Eugen Abler kenne ich sicher seit 20 Jahren, und das ganz gut. Er ist das, was man im Ländle gerne einen „konservativen Knochen“ nennt. Das klingt zwar ein wenig despektierlich, aber es schwingt auch Anerkennung für jemanden mit, wenn der einfach bei seinen Prinzipien bleiben möchte. Über viele Jahre war Eugen Abler der erste Delegierte, der auf CDU-Bundesparteitagen nach dem Bericht der Vorsitzenden das Wort nahm; vor zwei Jahren sprach er an die Adresse der Kanzlerin wegen der Unterzeichnung des UN-Migrationspakts von „Landesverrat“, was ihm viele übelnahmen. Im Dezember beim Parteitag in Stuttgart wird man ihn vergeblich suchen. Nach 43 Jahren hat er sein Parteibuch nach Berlin zurückgeschickt.

Er klingt aufgeräumt und ruhig, als ich ihn zuhause in Bodnegg unweit des Bodensees anrufe. „Weißt Du, irgendwann ist halt das Maß mal voll“, sagt er in seinem oberschwäbischen Dialekt. Der Austritt sei das Ergebnis eines langen Prozesses gewesen; schon seit geraumer Zeit habe er sich in der CDU nicht mehr wohl gefühlt. Was war der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte? Eugen Abler überlegt nur kurz. Wenn der Gruppierung „Lesben und Schwule in der Union“ (LSU) zukünftig der Status einer innerparteilichen Vereinigung eingeräumt werden soll, dies gleichzeitig aber der „Werteunion“ (WU) nicht nur verweigert werde, sondern diese sich massiven Angriffen aus der Parteiführung ausgesetzt sehe, dann gehe ihm das nicht in den Kopf. Zeitweise war Abler Mitglied der WU, nun geht er in die parteipolitische Heimatlosigkeit. Oder doch zur AfD? Er lacht. Es habe sogar schon Einladungen gegeben. Aber die radikalen Umtriebe des „Flügels“ und der ständige Streit dort stoßen ihn ab. „Ha noi!“ So erledigt man die Dinge in Oberschwaben…

Leute wie Eugen Abler haben die CDU an der Basis über Jahrzehnte geprägt. Lektor in der Kirchengemeinde, Gemeinderat, Bürgermeister-Stellvertreter, Kreisrat, Vorsitzender der Kolpingsfamilie und Diözesanvorsitzender im Kolpingwerk Rottenburg-Stuttgart, Aufsichtsratsvorsitzender einer kleinen Regionalbank. 2012 wollte er noch selbst in die Politik, unterlag aber in der CDU-internen Nominierung dem damals amtierenden Bundestagsabgeordneten Andreas Schockenhoff. Über 15 Jahre hinweg verlieh Abler als CDU-Ortsvorsitzender die „Goldene Schwarzwurst“ an prominente Politiker aus dem Ländle und lud sie in die 3000-Seelen-Gemeinde im Kreis Ravensburg ein.

Die örtlichen Parteigranden waren vorab informiert, bevor Eugen Abler an die Öffentlichkeit ging. Hat niemand versucht, ihn von seinem Austritt abzuhalten? Ein gutes Vesper und ein Glas Wein habe es gegeben, als der CDU-Kreisvorsitzende Christian Natterer zusammen mit den Abgeordneten Axel Müller und August Schuler in Bodnegg vorbeikam. „Wir haben ein gutes Gespräch geführt, aber an meinem Entschluss hat sich nichts mehr geändert“, resümiert er. Er schätzt seine Mandatsträger vor Ort, aber mit der Marschrichtung der Partei kann er nicht mehr viel anfangen. Kehrtwende in der Familienpolitik, kaum Engagement beim Lebensschutz, die zu schnelle und konzeptionslose Energiewende, die Abschaffung der Wehrpflicht, Rettungsschirme für Griechenland, die Migrationspolitik; Eugen Abler klingt eher enttäuscht als verärgert, als ich ihn nach den Punkten frage, die ihn in den letzten Jahren störten. „Frau Merkel hat die CDU nach links gerückt.“  Die Partei sei grün-kompatibel geworden, bilanziert er und ergänzt, die Union hätte mal vor 30 Jahren in den Umweltthemen auf die Grünen hören sollen.

Parteiaustritt nach über vier Jahrzehnten – ist da auch ein Weg zurück? Eugen Abler zögert. „Das glaube ich eigentlich nicht.“ Für ihn, den Konservativen, gibt es keine Identifikationsfigur in der Union mehr. Markus Söder? Stark in der Corona-Pandemie, aber sonst inhaltliche Pirouetten wie bei Seehofer. Friedrich Merz? Ihm fehle der moralische Kompass. Über Norbert Röttgen und Jens Spahn reden wir erst gar nicht.

Viele interessante Begegnungen habe er in der Partei erlebt, mancher Kontakt ließe sich ja auch abseits der Partei noch pflegen. „Dafür bin ich auch dankbar“, meint Eugen Abler. Nach der Realschule hat er als Postbote angefangen, später das Abitur nachgeholt und seinen Diplom-Kaufmann gebaut. Schließlich war er im Controlling eines Industrieunternehmens tätig. Seit sechs Jahren im Ruhestand soll es nun ohne Politik gehen? Abler erzählt von seinem kleinen Wald und dem Obstgarten, wo es immer etwas zu tun gäbe.

Eine knappe Stunde telefonieren wir. Er spricht ruhig, fast bedächtig. „Ich bin mit mir im reinen.“ Es fällt kein scharfes Wort, auch nicht, wenn die Rede auf Angela Merkel kommt. Mit dem „Landesverrat“ damals hat er sich wohl einfach vergriffen. „Mach’s gut. Behüt‘ Dich Gott!“, sagt er, als wir uns verabschieden. So redet einer, der vermutlich zukünftig sehr lange überlegen muss, wo er bei der nächsten Wahl sein Kreuzchen macht oder ob er am Wahltag nicht lieber in den Wald zu seinen Bäumen geht.

Bildquelle:

  • Eugen_Abler_CDU: screenshot

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