„Informationsdefizit“? 100.000 Abtreibungen pro Jahr sprechen eine andere Sprache

ARCHIV - Ärzte sollen künftig über Schwangerschaftsabbrüche informieren können, ohne Strafverfolgung oder Stigmatisierung befürchten zu müssen. Foto: Silas Stein/dpa

von SUSANNE WENZEL

BERLIN – In der vergangenen Woche hat die Bundesregierung beschlossen, den § 219a Strafgesetzbuch (StGB), der das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche regelt, ersatzlos zu streichen.
Begründet wird die Aufhebung des Werbeverbotes vor allem immer wieder mit einem angeblichen Informationsdefizit bzw. der Vorenthaltung von Informationen über Schwangerschaftsabbrüche. Doch das geht schon angesichts des Wortlauts der Bestimmung an den Tatsachen vorbei. Schon im Titel des Paragraphen steht das Wort „Werbung“ und auch im Gesetz ist erkennbar nicht die bloße Information, sondern die Werbung untersagt. Klar ist aber auch: Wer seines Vermögensvorteils wegen informiert, wirbt. Auch ein Unternehmen, das in einer Zeitungsanzeige lediglich seine Adresse mitteilt, tut dies seines Vermögensvorteils wegen. Und das ist bereits Werbung und eben nicht lediglich Information.

Die Abtreibungszahlen des vergangenen Jahrzehnts, die jeweils über 100.000 lagen, belegen doch gerade, dass kein Defizit an Informationen und auch kein mangelhafter Zugang zum Schwangerschaftsabbruch besteht. Frauen erhalten Informationen. Dafür gibt es die Beratungsstellen. Das Schwangerschaftskonfliktgesetz sieht darüber hinaus vor, dass beim Gespräch in der Beratungsstelle jederzeit ein Arzt hinzugezogen werden kann und dass Ärzte auch selbst nach dem Gesetz beraten können. Die Novellierung des § 219a im Jahr 2019 hat es Ärzten, Krankenhäusern und Einrichtungen gerade ermöglicht, darüber zu informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche unter den Voraussetzung des § 218a Abs. 1 bis 3 StGB durchführen. Auch das spricht gegen ein angebliches Informationsdefizit.

Im Schwangerschaftskonflikt stehen sich zwei Rechtsgüter gegenüber: Das Lebensrecht des ungeborenen Kindes und das Selbstbestimmungsrecht der Frau. Der Schutzauftrag des Staates, den das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil von 1995 noch einmal ausdrücklich festgestellt hat, verpflichtet den Staat, das Recht des Schwächeren zu schützen. Das Kind, das noch nicht geboren ist, kann sein Recht nicht selbst einfordern. Wesentlicher Kern des Schutzkonzeptes ist die Beratung bzw. Information. Sie soll nach dem Gesetz dem Schutz des ungeborenen Lebens dienen und hat sich von dem „Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen“, wie es im § 219 StGB heißt. Im Beratungsgespräch sollen Perspektiven für ein Leben mit dem Kind entwickelt und auch Hilfsmöglichkeiten aufgezeigt bzw. mit der Schwangeren entwickelt werden. Nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) können auch Ärzte als Beratungsstellen zugelassen werden. Allerdings wurde wohlweislich ausgeschlossen, dass der Arzt, der die Beratung durchführt auch den Schwangerschaftsabbruch durchführt. Mit dieser Trennung hat der die Schutzpflicht des beratenden Arztes dem ungeborenen Kind gegenüber manifestiert. Informiert ein Arzt, der gleichzeitig Abtreibungen vornimmt, umfassend über Methoden und Ablauf sowie Risiken und Nebenwirkungen z. B. auf seiner Webseite, wird diese Trennung verwischt und die Schutzwirkung der Beratung ausgehebelt.

Ein Schwangerschaftsabbruch ist keine normale ärztliche Dienstleistung, da er immer mit der Tötung eines anderen Menschen endet. Das sollte nach dem Willen des Gesetzgebers mit dem Werbeverbot noch einmal deutlich unterstrichen werden. Durch die Aufhebung wird der Abbruch aber bagatellisiert, wenn künftig auf der Webseite eines Arztes oder mit einer im Wartezimmer ausliegenden Broschüre über alle Aspekte des Abbruchs informiert und geworben werden darf, wie z. B. über Schönheitsoperationen oder die Entfernung eines Muttermales. Es wird sich im Bewusstsein der Bevölkerung festsetzen, dass erlaubt ist, wofür geworben werden darf. Schwangerschaftsabbrüche sind jedoch nicht mit derartigen Eingriffen zu vergleichen und können deshalb auch nicht gleich behandelt werden. Immerhin geht es hier um das Leben eines Menschen.

Der Bund hat sich selbst im Schwangerschaftskonfliktgesetz verpflichtet, Hilfen für Schwangere und Mütter bekannt zu machen sowie den bundesweiten Notruf für Schwangere in Konfliktlagen sicherzustellen, damit Frauen rund um die Uhr an Hilfe kommen. Er selbst soll dafür sorgen, dass der Notruf bundesweit bekannt ist und kontinuierlich Öffentlichkeitsarbeit für diesen betreiben. Für derartige Informationen bedient sich der Staat in der Regel der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Wir alle kennen die Kampagne der BZgA an Bushaltestellen, die fragt „Brennt’s im Schritt?“. Aber wann haben Sie eigentlich zuletzt Werbung für das Hilfetelefon „Schwangere in Not“ in der Öffentlichkeit gesehen? Wann sind Sie zuletzt auf die Bundesstiftung „Mutter und Kind“ aufmerksam gemacht worden? Statt also das wichtige und richtige Werbeverbot zu streichen, sollte die Regierung lieber ihren eigenen Vorgaben nachkommen.
Das Schwangerenkonfliktgesetz und auch das Werbeverbot sind wesentliche Bestandteile des Gesamtschutzkonzeptes um den § 218 ff. StGB. Die Streichung des Werbeverbotes hebt dieses verfassungsrechtlich gebotene Schutzkonzept zumindest teilweise auf und ist letztlich verfassungswidrig.

Bildquelle:

  • Abtreibungsparagraf: dpa

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