„Im Rausch der Dekadenz“: Warum wir uns vor uns selbst retten müssen

Pädagoge und Buchautor Josef Kraus

von KLAUS KELLE

BERLIN/LANDSHUT – Als ich Josef Kraus vor Jahren kennenlernte, da war er für mich der Lehrer schlechthin. Der Mann, der unheimlich viel Ahnung davon hatte, was Kinder brauchen, um später selbständig ein vernünftiges Leben leben zu können. Er wusste, was alles schief läuft im deutschen Bildungssystem, engagierte sich gegen kollektivistische Schulsysteme, schrieb Bücher, geißelte die Ergebnisse der PISA-Studien und kämpfte wie gegen Windmühlenflügel gegen eine erkennbar unsinnige Rechtschreibreform an. Gymnasiallehrer, Schulpsychologe, Schulleiter – wenn unsere Kinder auf ihrem Bildungsweg in ernste Schwierigkeiten geraten wären, wir hätten Josef angerufen und um Hilfe gebeten.

Der frühere Präsident des Deutschen Lehrerverbandes (1987 bis 2017), ich wiederhole mich, ist DER Lehrer schlechthin, jemand, der Ahnung hat, der den Eltern Wichtiges zu sagen hat.

Umso überraschender kam vor wenigen Wochen sein neues Buch, dass sich mit dem Großen und Ganzen beschäftigt: der Zukunft oder auch nicht des Westens, dieser Gemeinschaft freier Völker, die jahrzehntelang das Lebensmodell und der Hoffnungsanker für viele Millionen Menschen auf der Welt gewesen ist. Der Sehnsuchtsort, zu dem es sie zieht, wo man frei reden darf, ohne wie in Russland, China oder Nordkorea in stinkenden Straflagern verrotten zu müssen für Meinungen, die den Herrschenden nicht gefallen. Wo man Rechte hat, jeder Bürger, wo man gegen die eigene Regierung vor Gericht ziehen und sogar gewinnen kann. Wo man ihnen hilft, wenn sie krank oder arm sind. Wo ein starkes Militär und ein mächtiges Bündnis ihre Sicherheit garantieren. Wo die Kinder in den Schulen etwas lernen, wo Männer und Frauen die gleichen Rechte und Chancen haben. Und wo Menschen, die anders sind, religiös, politisch oder auch in ihrer sexuellen Orientierung, so leben dürfen, wie sie möchten, ohne wie in Teheran an einem Baukran aufgehängt zu werden.

Nein, die Demokratie ist eine großartige Erfindung

Und sie ist in ernster Gefahr, und genau davon handelt das neue Buch von Josef Kraus mit dem Titel „Im Rausch der Dekadenz – Der Westen am Scheideweg“ (LMV).

Anders, als man es vielleicht erwarten würde, werden im Buch weniger die großen globalen Verstrickungen und Gefährdungen behandelt, die uns alle in dieser Zeit beunruhigen. Der Krieg in der Ukraine, die hybriden Angriffe von Putins Russland gegen frühere osteuropäische Staaten, die heute zum Westen gehören, Angriffe auch gegen Deutschland und die USA.

Nein, Kraus schreibt über die Gefahr von innen, die uns seit Jahren und zunehmend bedroht. Gegen die Selbstzweifel und Schuldneurosen, gegen Deindustrialisierung, Angriffe auf die traditionelle Familien und den Geburtenschwund, gegen die sinkende Bereitschaft, sich gegen Bedrohungen auch entschlossen zu verteidigen und gegen die um sich greifende Wohlstandsverwahrlosung.

Und, ganz wichtig: gegen „Multikulti und Asyl-Doktrin“, gegen den Irrweg mit der ungebremsten Massenmigration von Menschen aus aller Welt in unsere Sozialsysteme und die Kriminalstatistik.

Kraus schreibt:

„Damit ‚Multikulti‘ aber überhaupt halbwegs funktionieren kann, müssen sich ‚Neubürger“ assimilieren, das heißt anpassen. Nicht umgekehrt. Sonst gewinnen Zuwanderer den Eindruck, man könne herrschende Gesetze und Normen ignorieren, und man könne Parallelgesellschaften errichten.“

Jeder von uns weiß, dass dieser Prozess längst im Gange ist in Deutschland.

„Im Rausch der Dekadenz“ ist kein Gute-Laune-Buch, kann es nicht sein, denn unser Land, unsere freiheitlichen Partnerländer, der Westen insgesamt schweben in Gefahr, oder nennen wir es Herausforderung, wie niemals zuvor seit 1945. Selbst nicht in Zeiten des Kalten Krieges, der global ausgefochten und letztlich vom Westen gewonnen wurde. Ob wir dieses Mal, wo die Feinde unserer freiheitlichen Lebensweise viel subtiler vorgehen, wo sie sich verbünden, um unsere Gesellschaften von innen heraus zu zerstören, auch gewinnen werden, das ist längst nicht sicher.

Und es klingt wie ein dramatischer Appell an uns alle, wenn Josef Kraus gegen Ende seiner lesenswerten Streitschrift formuliert:

„Vieles, was in Jahrhunderte errungen und geschaffen wurde, steht auf dem Spiel. Deutschland, Europa und der Westen müssen lernen, das Geschaffene und das Errungene zu erhalten. Sonst wird nicht nur der Westen, sondern die gesamte Welt ärmer. Der Westen muss nicht nur gegenüber Russland mit seiner aggressiven Expansionspolitik, gegenüber China mit seinem autoritären Kapitalismus und dem Islam mit seinem Dschihad bestehen, sondern sich erst einmal vor sich selbst retten.“

Da möchte man spontan Amen sagen….

Bildquelle:

  • Josef Kraus: jk

Unterstützen Sie unsere Arbeit mit einer Spende

Jetzt spenden (per PayPal)

Jetzt abonnieren

Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.