Heute vor zehn Jahren wurde der Terroristenführer Osama bin Laden liquidiert

von KLAUS KELLE

WASHINGTON – Ich habe nie daran gezweifelt, dass sie ihn irgendwann kriegen werden. So ein Ding wie am 11. September 2001 macht niemand ungestraft mit den USA. Die Frage war nur: Stirbt er früher an irgendeiner Krankheit in irgendeiner Höhle am Hindukusch, im Grenzgebiet zu Pakistan? Oder ist er längst irgendwo im Jemen oder im Sudan, wo früher sein Al Kaida-Hauptquartier war, auf natürlichem Weg verstorben? Aber nein: So einer stirbt nicht an Nierenversagen. Er stirbt an Einschusslöchern.

Heute genau vor zehn Jahren trat der damalige US-Präsident Barack Obama vor die Kameras, um der Welt mitzuteilen, dass in der Nacht eine Specialeinheit der Navy Seals den meistgesuchten Terroristen der Welt, Osama bin Laden, gefunden und liquidiert hat. Der „Operation Neptune Spear“ war eine jahrelange weltumspannende Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen vorangegangen. Immer wieder falsche Spuren, immer wieder Hinweise, die ins Leere liefen. Die CIA und die NSA fanden schließlich irgendwann den Kurier, der Kontakt hatte zum Terroristenanführer aus Saudi-Arabien, der 9/11 erdacht und organisiert hatte. Frontalangriff auf den „großen Satan“, der so unangreifbar schien.

Bin Laden konnte in den all den Jahren nicht mehr mit Telefon oder über das Internet mit der Außenwelt kommunizieren, das wusste er. Und so setzte er einen Kurier ein, dem er vertraute.

Irgendwann geriet ein Mann namens Abu Ahmed al-Kuwaiti ins Visier der NSA, genauer ins Ohr. Denn als der in Pakistan lebende al-Kuwaiti eines Tages von einem Verwandten gefragt wurde, was er denn jetzt so beruflich mache, hörte der Geheimdienst mit. „Dasselbe wie früher“, antwortet der Ahnungslos. Drei eigentlich belanglose Wörter, die NSA und CIA elektrisierten. Denn früher – dass wussten die Agenten – hatte al-Kuwaiti schon einmal für bin Laden Kurierdienste erledigt. Also hängten sich amerikanische Agenten an den weißen Geländewagen des Verdächtigen und fanden sich irgendwann in einer der besseren Wohngegenden von Abbottabad wieder, einer Stadt nördlich von Islamabad.

Arabischstämmige CIA-Leute mieteten sich gegenüber ein und observierten das Haus rund um die Uhr, Drohnen wurden hoch am Himmel platziert und lieferten irgendwann Fotos eines hochgewachsenen Mannes, der allein im Garten des Grundstücks auf- und abging. Jeden Tag, stundenlang. Der Rest ist Geschichte. Irgendwann in der Nacht erfuhr die Welt durch den Tweet eines Nachbarn in Abbottabad, dass irgendwas läuft. Merkwürdig, Hubschrauber kreisen hier über der Straße, schrieb er. Irgendwas Ungewöhnliches gehe vor sich.

Zwei Seal-Teams mit je zwölf Mann waren zuvor unter größter Geheimhaltung erst nach Deutschland und dann nach Afghanistan verlegt worden. In der Nacht vom 1. auf den 2. Mai kommt der Einsatzbefehl. Und die Aktion droht zu scheitern. Denn die beiden Hubschrauber mit dem Team kommen zwar unbemerkt bis zum Zielobjekt nach Abbottabad, aber dann verliert einer der Piloten die Kontrolle über seinen Black Hawk, der abstürzt. Zum Glück wurde niemand verletzt, und das Spezialkommando kämpft sich ins Gebäude vor. Mit Sprengladungen verschaffen sich die Seals Zutritt zum Hauptgebäude, in dessen erstem und zweitem Stock bin Laden und seine Familie sein sollen. Über eine Wendeltreppe dringen die Soldaten nach oben vor. Es ist stockdunkel, sie tragen Nachtsichtgeräte. Als ein Mann seinen Kopf um die Ecke streckt, schießen die Seals und töten ihn. Es ist bin Ladens Sohn.

Im zweiten Stock fallen wieder Schüsse, zwei US-Soldaten feuern auf einen Mann in einem weißen, ärmellosen Shirt, einer hellbrauner Hose und Tunika. Es ist Osama bin Laden, wie sie später herausfinden. Einer, der dabei war, berichtete später: „…er krümmte sich und bäumte sich in Todeszuckungen auf.“ Neben der Leiche zwei schreiende Ehefrauen und mehrere Kinder. Ein DNA-Abgleich schafft Gewissheit. Die Seals nehmen die Leiche mit und verschwinden an Bord des Black Hawk und eines weiteren Chinook-Hubschraubers, der nach dem Absturz des anderen als Backup in der Nähe war. Die Leiche bin Ladens wurde später auf See von einem Kriegsschiff aus nach islamischem Ritus bestattet – so die offizielle Darstellung. Der Enthüllungsjournalist Seymour Hersh bezweifelt die offizielle Darstellung. Er glaubt, dass bin Ladens Überreste aus einem Helikopter abgeworfen wurden.

War 9/11 ein Inside-Job?

Osama bin Laden ist definitiv tot, und obwohl es schön gruselige Verschwörungstheorien gibt, besteht kein ernsthaft zu begründender Zweifel, dass er der Drahtzieher hinter dem Terroranschlag auf das World Trade Center und das Pentagon an diesem Septembermorgen war. Auch wenn es bezüglich mancher Details dieses Anschlages noch offene Fragen geben mag: Wie lautet denn die mögliche alternative Geschichte? George W. Bush aus dem Oval Office mit dem Joystick? Und warum? Um eine Legitimation zu haben, den Irak angreifen zu können? Die USA haben schon so viele Kriege geführt, das hätten sie auch gegen den Irak tun können, ohne dass ein gewählter Präsident dafür mehr als 3000 seiner eigenen Landsleute umbringen muss.

Ist der Krieg gegen den Terror gewonnen?

Noch lange nicht, vielleicht wird er nie zu gewinnen sein. Aber wir – der Westen und die zivilisierten Staaten dieser Welt – dürfen nie aufhören, diesen Kampf zu führen gegen diejenigen, die für Menschen wie uns nur Unterwerfung oder Tod zu bieten haben. Al Kaida ist deutlich geschwächt, die USA und ihre Verbündeten haben immer wieder die führenden Köpfe dieser Hydra abgehackt, oft mit zielgenauen Drohnenangriffen. Und doch sind immer wieder neue Köpfe daraus erwachsen. Und mit dem sogenannten „Islamischen Staat“ hat sich eine zweite global aktive Mörderbande im Namen Allahs formiert, die auch schwer dezimiert wurde in Syrien und dem Irak, die aber lebt und nach wie vor auch zu großen opferreichen Anschlägen wie im November 2015 auf Paris mit 130 Toten und mehreren Hundert Verletzten fähig ist. Damals hatte sich die assoziierte islamische Terrorgruppe Jaish al-Islam (Armee des Islam) bekannt, aber wer weiß schon genau, wer wie miteinander zusammenhängt in dieser düsteren Welt.

Es gibt viele Bücher über all diese Ereignisse. Wenn Sie verstehen möchten, wie der globale islamisch motivierte Terrorismus überhaupt entstanden ist, empfehle ich Ihnen das wirklich herausragende Buch „Der Tod wird euch finden“ des Pulitzer-gekrönten Autors Lawrence Wright. Und von den Verfilmungen der Kommandoaktion, die vergangene Nacht vor zehn Jahren in Pakistan stattfand, sticht eindeutig „Zero Dark Thirty“ heraus, ein Film, so beteiligte CIA-Mitarbeiter, der ganz nah an der wahren Geschichte dran ist.
Trailer hier

Bildquelle:

  • Osama_bin_Laden: dpa

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.