Heute vor 100 Jahren wurde ein fragwürdiger Nationalheld der Türkei erschossen

von MARTIN D. WIND

Ein Völkermörder wird in der Türkei als Volksheld gefeiert und als Märtyrer verehrt: Am 15. März 1921, also vor 100 Jahren wurde Talât Pascha in Berlin auf offener Straße erschossen. Der Schütze – der Armenier Soghomon Tehlirian – gab an, ihn so für die Verbrechen am armenischen Volk sühnen zu lassen. Talât Pascha gilt als Gründer der modernen Türkei in Nachfolge zum Osmanischen Reich. Der letzte Großwesir des osmanischen Reiches und zugleich dessen erster und letzter Premierminister hat furchtbare Berühmtheit erlangt. Er war es, der mit Rückendeckung seiner Verbündeten aus dem Deutschen Reich, die „Lösung der armenischen Frage“ anging. Talât ließ Armenier und weitere Christen aus Anatolien vertreiben und ohne Wasser und Lebensmittel in die südlich gelegene Wüste treiben.

Während dieses Genozids starben mehr als 1,5 Millionen Menschen einen grausamen Tod unter syrischer Sonne. Während sich immerhin aus den Reihen verantwortlicher Politiker in der Türkei Widerstand gegen dieses barbarische Verfolgen der Minderheiten regte, verschloss man in Berlin, trotz entsprechender Hinweise und Berichte, die Augen vor den Gräueltaten des Verbündeten während des Ersten Weltkriegs. 1918 musste Talât, nach der Niederlage der Türkei gegen die Briten, fliehen: Er verließ mit einigen Getreuen mit einem deutschen U-Boot die Türkei und gelangte über Odessa nach Deutschland. Zwar forderte der Sultan von Konstantinopel die Auslieferung des Massenmörders und Kriegsverbrechers, die deutsche Reichsregierung tat aber so, als wüsste man nicht, dass Talât sich in Berlin aufhielt.

Nach den tödlichen Schüssen in der Hardenbergstraße wurde dem Schützen Soghomon Tehlirian in Moabit der Prozess gemacht. Dabei gab er an, dass er den Tod von 78 seiner Familienmitglieder gerächt habe. Da seitens des Deutschen Reiches kein Interesse daran bestand, die Taten Talâts und die Verbindungen zur Regierung im Rahmen des Prozesses öffentlich werden zu lassen, plädierte die Staatsanwaltschaft auf „nicht schuldig“ wegen der „schweren Traumatisierung“ des Täters durch das Erleben während des Völkermordes.

Auf dem Märtyrerfriedhof in Berlin erhielt Talât Pascha seine erste Ruhestätte. 1943 wurde er von den Nationalsozialisten mit militärischen Ehren in die Türkei überführt und dort in Şişli in einem Ehrengrab beim „Denkmal der ewigen Freiheit“, einem Nationalehrenmal für die Opfer der jungtürkischen Revolution, zur letzten Ruhe gebettet.

Das Volk der Armenier und andere Christen haben bis heute keine Ruhe gefunden. Sie werden vom despotischen Regime Erdogan noch immer drangsaliert, ihre aserbeidschanischen Feinde in der Region Bergkarabach von der Türkei militärisch ausgerüstet und unterstützt. Bis heute leugnen nationalistische Türken den Genozid an Armeniern und anderen Christen, bis heute sind Schulen Moscheen und Straßen oder Plätze nach dem Kriegsverbrecher Talât Pascha benannt. Es steht zu befürchten, dass sich daran so lange nichts ändern wird, bis sein Nachfolger und Bruder im nationalistischen Geiste, Tayyip Erdoğan, sich noch im Amt halten kann.

Bildquelle:

  • Talât Pascha: Aga Ref-Nr. img088

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