von FELIX HONEKAMP
In einem Kommentar zur Landtagswahl in NRW und dem Auftreten des dortigen FDP-Vorsitzenden Christian Lindner war kürzlich zu lesen, der solle sich jetzt mal nicht so „zickig“ haben. Süddeutsche-Chef Heribert Prantl, nicht gerade der Garant für Liberalität, bedeutete Lindner auch, so jemanden würde man nicht wählen wollen. Nun ja, mehr als 12 Prozent der Wähler Nordrhein-Westfalens wollten ganz offenbar. Und das nach einem sehr auf die Person Lindner zugeschnittenen Wahlkampf. So sehr, dass Liberale die Sorge umtreiben muss, welchen ernsthaft in Erwägung zu ziehenden Politiker die Partei im Bund noch aufbieten kann – schließlich kann Lindner ja nicht überall sein – und ob ein solcher „Personenkult“ mit der Idee des Liberalismus noch verträglich sei. Aber vielleicht muss man an solchen Geschmacksfragen auch Abstriche machen, wenn man Wahlen gewinnen will.
Jetzt jedenfalls kann die FDP in NRW vor Kraft kaum laufen, verspricht, nein beschwört einen Politikwechsel hin zu mehr Freiheit und Selbstverantwortung. Das wird auch mit diesem Wahlergebnis NRW, der angeblichen „Herzkammer der Sozialdemokratie“, nicht leicht werden. Darum ist es richtig, dass sich Lindner ziert und nicht bereit ist, den Koalitionspreis ohne Not zu senken. Andererseits stellt sich auch die Frage der politischen Verantwortbarkeit einer langwierigen Koalitionsbildung, wenn alle anderen rechnerisch möglichen Koalitionszusammensetzungen bereits ausgeschlossen sind: Die SPD will nicht als Juniorpartner mit der CDU mitregieren (was nebenbei vermutlich auch die Wahlaussichten der Union zur Bundestagswahl geschmälert hätte, so weit ist das vom offensichtlichen Wählerwillen entfernt), mit den Grünen und den Linken will sowieso niemand regieren, der den eigenen Stimmanteil dazu beisteuern könnte, die AfD will selbst nicht mit „diesen Gestalten“, wie sie etablierte Politiker ab und an nennt, regieren – und niemand mit ihr. Abgesehen von einer Minderheitsregierung, die aber alle anderen vor sich hertreiben würden, bleibt also nur noch die altbekannte schwarz-gelbe Koalition. Versagt sich die FDP hier, wird ihr zumindest von Wechselwählern wohl mangelnde Verantwortungsübernahme nachgesagt werden. Lindner täte also gut daran, eine Absage an eine Regierungsbeteiligung in NRW sehr gut zu argumentieren, damit ihm dieser „Rückzug“ nicht im September auf die Füße fällt.
Andererseits kann man die 12,6 Prozent Stimmanteil der FDP auch als Vertrauensvorschuss an eine Partei begreifen, die den Willen der eigenen Wähler im Bund schon mal zugunsten der eigenen Machtbeteiligung geopfert hat. Vor einigen Wochen habe ich an dieser Stelle bereits meine Vorstellungen von einer wirklich liberalen Partei in einem offenen Brief beschrieben. Ich gebe zu, meine damaligen Vorstellungen lassen sich derzeit nur in einer harten Opposition aufrechterhalten – Regierungsbeteiligung setzt in Bund und Ländern eben Kompromisse voraus. Es fragt sich nur, zu welchen Kompromissen man bereit sein wird. Wird also angesichts der NRW-Bildungsmisere die FDP in einer Koalition mehr Dirigismus und Staat zulassen, sich in ideologische Grabenkämpfe verwickeln lassen, oder mutige Schritte hin zu einer Liberalisierung der Bildung tun? Wird die FDP auf Landesebene einen potenziellen Koalitionspartner vor sich hertreiben um durch Steuererleichterungen und Deregulierung der Wirtschaft wieder auf die Füße zu helfen? Wird die FDP in der Lage sein, in NRW einen adäquaten Weg zum Umgang mit der AfD einzuschlagen – in harter Auseinandersetzung aber ohne Gesprächsablehnung? Wird die FDP mal einen Blick in die Finanzierung des WDR werfen? In öffentliche Aufträge? Und – weil ich mir ja hier mal was wünschen kann – wird die FDP die haarsträubende Antirauchergesetzgebung NRWs rückabwickeln, bei der nicht mal in ausgewiesenen Raucherlounges ein Glas Wein getrunken werden darf? Liberale, die sich zu den vergangenen Bundestagswahlen 2013 enttäuscht von der FDP abgewandt hatten, werden jedenfalls genau beobachten, wie die Partei im bevölkerungsreichsten Bundesland agiert.
Die NRW-Landtagswahl galt gemeinhin als Test für die Bundestagswahl, auch wenn manche Parteien das heute aus verständlichen Gründen lieber anders sähen. Für die FDP ist die Beteiligung an der NRW-Landesregierung aber in der Tat ein Test für den Bund. Verantwortlich handeln ist dabei die eine Komponente, sich den Liberalismus aber nicht abkaufen zu lassen ein wesentlicher anderer. Wer heute meint, das Zögern der FDP sei nicht angemessen, hat nicht verstanden, wofür diese Partei in den Augen liberaler Wähler stehen solle und wie weit die meisten anderen Parteien davon entfernt sind. Bleibt Herr Lindner also noch eine Weile „zickig“, ist das für mich erst mal durchaus beruhigend.
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- Christian_Lindner_5: dpa