Hat die ukrainische Gegenoffensive begonnen oder nicht?

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

die Informationen sind enorm widersprüchlich. Ich wollte heute Morgen für Sie zusammenfassen, wie die ukrainische Gegenoffensive gegen die russischen Invasoren im Osten und Süden der Ukraine verläuft. Aber ich kann das nicht, weil die Berichte russischer Militärblogger und amerikanischer Analysten zu schwammig sind.

Ja, es hat in den vergangenen Tagen verstärkt ukrainische Aktivität gegeben, mehr Angriffe, erstmals auch mit Panzern aus westlicher Produktion. Und klar ist auch, dass der zerstörte Staudamm wohl von russischen Truppen zerstört wurde, auch, um die anlaufende Gegenoffensive der Ukrainer zu behindern.

Inzwischen hat Russlands Kriegsministerminister Sergej Schoigu vier ukrainische Angriffe im südlichen Gebiet Saporischschja bestätigt, die – wie sollte es auch anders sein – von der ruhmreichen russischen Armee bravourös zurückgeschlagen wurde. Sozusagen nebenbei…

Vorhin habe ich lange mit einem deutschen Analysten telefoniert, der in ständigem Kontakt zu Partnern in der Ukraine steht. Selbst dort ist man sich unsicher, ob es begonnen hat oder nicht. Seitens der ukrainischen Regierung gab es bisher keine Aussage zu den Spekulationen. Was wir sicher wissen: erstmals sind moderne Kampfpanzer aus dem Westen dort im direkten Kampfeinsatz. Und die russische Armee, die in den vergangenen Monaten Hunderte Panzer verloren hat, feiert hymnisch die Zerstörung eines Leopard-Panzers und eines deutschen Flugabwehrsystems Iris-T. Eines! Erstaunlich wie bescheiden Putins Möchtegern-Großmacht geworden ist.

Mein Gesprächspartner am Telefon warnte mich aber auch, in westliche Euphorie zu verfallen. Auch dazu gibt es keinen Anlass, denn die ersten Tage einer Gegenoffensive würden brutal und verlustreich auf beiden Seiten verlaufen. Sollten die Scharmützel, die in der Nacht an vier Abschnitten begonnen haben, tatsächlich der Beginn der lange erwarteten ukrainischen Gegenoffensive sein, dann werde es mindestens eine Woche dauern, bis man realistisch einschätzen kann, wie der weitere Verlauf sein wird.
Gelingt es den ukrainischen Kämpfern an einem der Frontabschnitte im Osten tatsächlich, durch die russischen Linien zu brechen, dann könnte das eine Wende in diesem Krieg bedeuten. Scheitern sie dort, dann weiß zumindest ich nicht, wie es weitergehen sollte.

Die Chefin des russischen Propagandasenders RT hat in der Nacht in einem Interview in Moskau erklärt, es sei jetzt an der Zeit, die militärischen Auseinandersetzungen in der Ukraine einzufrieren. Kaum vorstellbar, dass die Frau in dieser Position sowas sagt, ohne vorher beim Kreml um Erlaubnis gefragt zu haben. Siegeszuversicht sieht jedenfalls anders aus.

Mit herzlichen Grüßen,

Ihr Klaus Kelle

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.