Große Mehrheiten sind für das Recht auf Abtreibung und Sterbehilfe – doch ein Staat wird dem Einzelfall mit Gesetzen nicht gerecht

Liebe Leserinnen und Leser,

in Neuseeland ist Sterbehilfe seit Sonntag legal. Unheilbar kranke Erwachsene haben dort jetzt unter bestimmten Voraussetzungen das Recht auf einen medizinisch begleiteten Suizid. Bedingung: Zwei Ärzte müssen sich einig sein, dass der oder die unheilbar Kranke keine sechs Monate mehr zu leben hat und daher die Möglichkeit haben sollte, den Ablauf und Zeitpunkt des Todes selbst zu bestimmen. Das Gesetz ist direkte Folge einer Volksabstimmung, bei der Ende Oktober 2020 eine entsprechende Vorlage 65,2 Prozent Zustimmung der Bevölkerung bekam.

Das neuseeländische Gesundheitsministerium schätzt, dass jetzt bis zu 950 Menschen pro Jahr Sterbehilfe beantragen könnten und dass sie in bis zu 350 Fällen vollzogen wird. Kritiker fürchten, dass Sterbehilfe dazu genutzt werden könnte, die Gesundheitskosten zu senken.

Sterbehilfe ist wie Abtreibung das Rühren an den ganz großen Dingen des menschlichen Daseins. Anfang und Ende, Alpha und Omega, das Leben, wie es natürlich beginnt und natürlich enden sollte. Meine Haltung dazu ist Zeit meines Lebens klar für den Schutz des Lebens, ist das – so glaube ich – was Gott will und von uns Menschen erwartet.

Aber so einfach ist es eben nicht, und ich beneide Abgeordnete nicht, die gesetzliche Regelungen für menschliche Extremsituationen entwickeln und beschließen müssen.

Jeder Mensch will leben, so lange es irgendwie geht. Das sagt man, aber ist das wirklich so? Auch wenn man weiß, welche Möglichkeiten die Palliativmediziin heute hat: Wollen wir in Deutschland, auch vor dem Hintergrund unserer Geschichte, dass wieder Menschen darüber entscheiden, wer noch leben darf und wer sterben muss? So ganz grundsätzlich entscheiden? Und was ist mit denen, die einfach nicht mehr leben wollen, etwa weil sie nach einem schweren Unfall nichts mehr tun können außer durch künstliche Ernährung irgendwie erhalten zu werden? Und ist das dann überhaupt ein Leben?

Das Thema Schwangerschaftsabbruch ist ebenso dramatisch. Wie bei der Sterbehilfe gibt es in Deutschland und vermutlich nahezu überall große Mehrheiten, die das befürworten, das Abstellen lebenserhaltender Apparate und den „Abbruch“ oder – absurd – die „Schwangerschaftsunterbrechung“. „Mein Bauch gehört mir“, kreischen die Lobbygruppen der Feminismusindustrie, aber klar, niemand will ihnen ja ihren Bauch nehmen. Aber da ist etwas drin, und das ist nicht irgendein imaginärer „Zellhaufen“.

Und auch da gibt es Extremfälle hüben und drüben, gibt es die Frauen, die nach einer Abtreibung ihr Leben lang psychisch darünter leiden, ebenso wie die, die nach einem One-Night-Stand nach der Disco nicht ihr Leben für einen vollkommen Fremden und einen kurzen Rausch im Schlafzimmer aufgeben wollen. Ich habe vor 20 Jahren mal eine Frau aus Sachsen kennengelernt bei einem Abendesen mit mehreren Bekannten in Berlin. Sie behauptete, dass sie katholisch sei und erzählte mir dann ungeniert von vier Abtreibungen nach Zufallsbekanntschaften mit vier unterschiedlichen Männern. Wie krank ist sowas?

Natürlich zur Welt kommen und natürlich diese Welt verlassen, das ist mein Idealbild. Aber das Leben ist einfach nicht so, dass ein Staat Regelungen bewschließen kann, die jedem einzelnen Schicksal auch nur annähernd gerecht werden.

Mit herzlichen Grüßen,

Ihr Klaus Kelle

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.