Glauben Sie, dass die Kanzlerin ihre Regenjacke selbst aussucht, bevor sie zu Opfern fährt?

Liebe Leserinnen und Leser,

„Guten Morgen Deutschland“-Moderatorin Susanna Ohlen steht seit gestern dem Arbeitsmarkt wieder zur Verfügung. Die 39-Jährige RTL-Moderatorin wurde heimlich gefilmt, als sie sich im Hochwassergebiet Bad Münstereifels vor einem Dreh selbst mit Schlamm einreibt, um wohl den Eindruck zu erwecken, sie haben mitgeholfen, selbst angepackt in der Not.

In ihrem TV-Beitrag sagte Ohlen später: „Jeder packt hier mit an, schnappt sich ne Schippe.“ Und weiter: „Mich trifft das auch noch einmal eine Spur intensiver, weil wir haben ein Ferienhaus hier, zwei Kilometer entfernt, da ist Gott sei Dank nichts, aber natürlich, hier stehen die Menschen zusammen, man hilft sich gegenseitig.“ Und schmiert sich etwas Dreck ins Gesicht für den Dreh danach.

Der Sender handelte sofort und beurlaubte die beliebte Ansagerin. In einem Tweet schrieb RTL: „Das Vorgehen unserer Reporterin widerspricht eindeutig journalistischen Grundsätzen und unseren eigenen Standards.“

Wenn das wenigstens so wäre, könnte man der Posse noch etwas Gutes abgewinnen. Aber ich glaube nicht daran, nicht weil ich den Kollegen von RTL und nicht einmal den meisten Staatsfunk-Journalisten per se etwas Böses unterstellen will. So ist einfach das Geschäft, im Kampf um Quoten und Werbekunden gilt wie überall: Klappern gehört zum Handwerk. Oder: Tue Gutes und rede darüber.

Ich meine, schauen Sie sich die Politiker-Reisen in die Katastrophengebiete in den vergangenen Tagen an! Passiert das einfach so, ziehen sie das an, was der Ehepartner morgens im Badezimmer empfohlen hat? Viele ganz sicher nicht – Medien wie Politik sind auch in Deutschland große Inszenierungen, und das Publikum goutiert das durchaus. Ich selbst hatte verschiedentlich Beratungsmandate, wo Politiker oder Politikerinnen meinen Rat bei der Auswahl der Kleidung haben wollten. Helle Bluse ist besser als dunkler Hosenanzug, dunkelblauer Hintergrund zeigt Seriosität und so weiter.

Als im Bundestagswahlkampf 2002 der Regen einsetzte und in Sachsen die Elbe die Wassermassen nicht mehr bändigen konnte, kam die Chance des Krisenkanzlers Gerhard Schröder von der SPD, der mit seinen rot-grünen Bundesregierung vorher alles andere als eine gute Figur gemacht hatte. Aber der alte Fuchs ist ein exzellenter Wahlkämpfer und nutzte die unverhoffte Chance, die sich ihm mit dem Hochwasser bot. In einer Jacke des Bundesgrenzschutzes und Gummistiefeln stapfte der wahlkämpfende Regierungschef als Lotse durch die Trümmerberge, besuchte Bürger, die dabei waren, ihr ganzes Hab und Gut zu verlieren, zeigte, wenn Fotografen auftauchten, seinen Begleitpersonen mit ausgestrecktem Arm einen imaginären Punkt im Nirgendwo, und sie schauten alle in dieselbe Richtung, betreten mit ernsten Mienen. Der Meister zeigt seinem Volk, wo es langgeht.

Edmund Stoiber, der Herausforderer von der CSU, begriff damals nicht, was da gerade passierte. In den Umfragen noch vorne, war er letztlich chancenlos, weil er im wahrsten Sinne des Wortes plötzlich im Regen stand. Und dass er aus Bayern giftige Pfeile abschoss, wonach es keinen Politiker-Tourismus brauche in der Krise, machte alles noch schlimmer.

Wenn am Breitscheidplatz in Berlin ein islamistischer Terroranschlag Menschenleben fordert, wenn in Ahrweiler Häuser einstürzen unter der großen Flut, dann erwarten die Bürger, dass sich zumindest die Anführer ganz oben auf den Weg machen zu den Menschen vor Ort. Beim Breitscheidplatz hat Frau Merkel ebenso jämmerlich versagt wie jüngst beim Terroranschlag in Würzburg. Und nicht einmal das ist einer Nachlässigkeit geschuldet, denn ein Auftreten dort vor Kameras könnte allzu viele Bürger daran erinnern, wer persönlich die Schuld daran trägt, dass auch solche Leute heute in Deutschland leben. Ich bin absolut überzeugt, dass die PR- und Presseleute im Kanzleramt der Chefin massiv davon abraten, zu Tatorten von Migrantengewalt zu gehen. Tatorte von Rechtsradikalen oder Unwettern? Da kann sie auch mal ganz schnell vor Ort sein.

Bei einer Naturkatastrophe kann ein Politiker nichts falsch machen, denken Sie vielleicht. Das stimmt, außer natürlich, er lacht im Hintergrund wenn vorne der Bundespräsident über Todesopfer spricht, die man betrauern müsse. Aber ein solch blöder Fauxpas würde den meisten Kommunalpolitikern nicht einmal passieren, das kann man sich nicht vorstellen…

Mit herzlichen Grüßen,

Ihr Klaus Kelle

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.