Gelangweilt im Wartezimmer

Liebe Leserinnen und Leser,

vor dem WM-Desaster der deutschen Mannschaft am Abend hatte ich noch einen Arzttermin, und weil zum Auftreten und Abschneiden unseres Teams alles Notwendige bereits vor dem Abpfiff gesagt war, wende ich mich hier meinem Besuch beim Arzt zu, konkreter: den 15 Minuten im Wartezimmer, was nach meiner Erfahrung heutzutage für einen Kassenpatienten ein akzeptabler Wert ist.

Im Wartezimmer, Sie alle kennen das, liegen in der Regel alte Illustrierte, manche in violettfarbener Papphülle als integrativer Bestandteil eines Lesezirkels, manche einfach noch vom Spätsommer und erbärmlich abgegriffen. Beim Facharzt meines Vertrauens lagen ausschließlch – darf man das noch sagen? – sogenannte Frauenzeitschriften.

Ich begann mit der „Brigitte“ und fragte mich nach dem Durchblättern, was um Himmels Willen einen Menschen bewegen könnte, für dieses Produkt Geld zu bezahlen. Mehr als die Hälfte der Seiten gefüllt mit Modetipps und Bildchen, ein paar Seiten mit Kochrezepten, dann viele einschlägige Werbeanzeigen. Thematisch begann das Heft mit irgendeinem Quark über Greta Thunberg, die Texte waren durchgedendert und strotzten von _*Innen, und am Schluss erzählte eine Autorin noch, wie sie gemeinsam mit ihrem kleinen Sohn mal „das Patriarchat bekämft“ habe. Was für ein belangloser Schwachsinn, und nochmal: Wer gibt Geld für solchen Müll aus?

So griff ich zur „Bild der Frau“, Mode, Königshäuser, irgendeine Psychoberaterin. Handwerklich solide, aber für unsereins – ich bin ja Mann, wie Sie ahnen – belanglos.

So kam ich zum Highlight in dieser Viertelstunde vor der ärztlichen Begutachtung: „Das Goldene Blatt“. Hammer, dass es das immer noch gibt. Meine Mutter hat diese Yellowpress-Gazette schon gelesen, als ich noch ein kleiner Junge war. Skandale in europäischen Königshäusern, Mary Roos hat ein Buch geschrieben und findet ihren eigenen Sohn ganz toll, wie bereitet man Hackfleischbällchen mit Spaghetti sachgerecht zu und so Krams…

Als ich mich Mitte 2007 als journalistischer Dienstleister mit einer eigenen Agentur selbständig machte, hatte ich von einem Hamburger Verlag den Auftrag bekommen, ein solches 65-Cent-Wochenblättchen zu produzieren. Die Redaktion war klein, das Heft füllte sich fast von alleine. Kochrezepte, Kreuzworträtsel, Horoskope, wie geht es der Gesundheit von Mette Marit, wie tief war das Dekolleté von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei den Wagnerfestspielen in Bayreuth wirklich? Im Grunde schreibt sich der Inhalt solcher Blätter anhand der vorliegenden Fotos von selbst. Toller Schnappschuss von Prinz Harry beim Afternoon-Tea und schwupps, fabulierst Du etwas ums Foto herum. Mit Journalismus hat das alles nichts zu tun. Nehmen Sie das bloß nicht alles Ernst! Wir verkauften jede Woche deutlich über 200.000 Hefte, und es gibt viele solcher Zeitschriften. Sehr viele.

Ach, das noch: beim Arzt war dann alles prima, Rezept für irgendeine Salbe bekommen und gut ist es. Bleiben Sie gesund!

Mit herzlichen Grüßen,

Ihr Klaus kelle

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.