Für einen Abgesang auf alte weiße Männer ist es wirklich ein wenig zu früh

Liebe Leserinnen und Leser,

sicher kennen Sie die Hoffnung aller links-bunt-grün-queeren-Menschen, dass das Zeitalter der alten weißen Männer nun endlich vorüber ist. Die Feministin Sophie Passmann (ist „Feministin“ eigentlich ein Beruf?) hat unsereins, Männern wir mir und vielen anderen, sogar ein gleichnamiges Buch gewidmet. Das soll „lustig“ sein, heißt es in der Beschreibung, aber so viel Humor habe ich dann doch nicht, dass ich einem Abgesang auf meine Spezies auch noch Beifall zolle.

Ich bin gerne alter, weißer Mann, und ich weiß nicht mal, ob das aufs Mannsein beschränkt bleiben muss, oder ob es nicht auch alte coole weiße Weiber gibt. Ich meine sogar, einige von solchen zu kennen. Doch zurück zu uns Kerlen. Zwei meiner besten und ältesten – entschuldigt! – Freunde noch aus Schülertagen waren damals politisch aktiv wie ich auch. Sehr aktiv, daher rührt auch, dass wir uns kennen. Nichts schweißt so fürs ganze Leben zusammen, wie gemeinsam im Regen Flugblätter zu verteilen und nach dem Plakatekleben Bier zu saufen. Das reicht dann oft für eine lebenslange Freundschaft, die irgendwann erst vor einem Sarg endet. Aber so weit im Voraus wollen wir nicht denken, das tun Politiker ja auch nicht.

Also, wo wir gerade darauf zu sprechen kommen, meine beiden alten, weißen Freunde sind in der CDU, ja, liebe Leser, es gab mal eine Zeit, da ergab es noch Sinn, in die CDU einzutreten. Aus meiner Sicht heute kaum noch nachvollziehbar. Der eine meiner Freunde war ein paar, eigentlich ganz schön viele, Jahre Bundestagsabgeordneter. 2017 bei Merkels Katastrophenwahl hat er es nicht mehr geschafft. Der andere hat vor 30 Jahren mal für den Bundestag kandidiert, konnte sich aber nicht durchsetzen in einem tiefroten Wahlkreis. Er hat danach eine glänzende berufliche Karriere hingelegt, nichts braucht er weniger, als sich in diesem Deutschland heute noch einmal ins politische Getümmel, in diesen Irrsinn, zu mischen.

Und was lese ich da vorhin in der Zeitung? Er wird am 26. September noch einmal einen Anlauf nehmen – mit 60 Jahren – und für den Bundestag kandidieren – im gleichen Wahlkreis wie damals. Genau so wie der andere, der erst vor vier Jahren da raus ist. Beide Freunde haben wunderbare Ehefrauen, ein Eigenheim, ein Konto, das ein sorgenfreies Lebens verspricht, die Kinder sind erwachsen – aus dem Gröbsten raus, wie man das in meiner lippischen Heimat nennt – und jetzt, ausgerechnet jetzt kandidieren beide noch einmal für den Bundestag. Mit 60 und über 60, einfach so. Ich weiß noch nicht, ob ich die Jungs für komplett irre halten oder bewundern soll. Beneiden? Für die CDU anzutreten? Eher nicht in dieser Zeit.

Erinnern Sie sich noch an den Film „Der große Bellheim“ mit Mario Adorf in der Hauptrolle, als pensionierten Kaufhauschef, der von Marbella zurückkehrt und mit ein paar alten Kumpels den Kampf ums Überleben seines früheren Besitzes aufnimmt? Von Dieter Wedel meisterhaft inszeniert, der wohl auch gerade ein …paar…andere Probleme hat, aber das lassen wir jetzt hier mal beiseite. Und der letztlich gewinnt, weil er eben nicht eingerostet ist, sondern die alten Tricks immer noch drauf hat.

60 ist das neue 40, warum sollen wir uns auf die Rente vorbereiten und ein Gewächshaus bauen, wenn wir noch fit im Kopf und…naja, körperlich, sagen wir, halbwegs in Form sind? Der eine kandidiert für den Bundestag, der andere startet eine neue Tageszeitung und der dritte läuft nach fünf Jahren Vorbereitungszeit beim nächsten New York Marathon mit, wenn Corona endlich vorbei ist. Manche werden sogar noch Präsident einer Weltmacht. 60, das ist heute höchstens so mittelalt, würde ich sagen. Und es ist noch lange nicht vorbei.

Mit herzlichen Grüßen,

Klaus Kelle

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.