von DIETRICH KANTEL (z. Zt. Frankreich)
PARIS – Vor dem Nationalfeiertag am 14. Juli hat sich Frankreichs Staatspräsident Macron mit einer Fernsehansprache an die Nation gewandt. Es war seine inzwischen achte (!) persönliche Fernsehansprache zur Corona-Lage seit Ausbruch der Pandemie. Traditionell finden am Vorabend und am Nationalfeiertag selber landesweit Parties, Versammlungen, ausgelassene Zusammenkünfte, Märkte und Jahrmärkte statt. Kurz: Ganz Frankreich feiert. Zugleich sind die Corona-Infektionszahlen in Frankreich in den vergangenen Tagen wieder massiv angestiegen. Am vergangenen Sonntag lag die Zahl der Neuinfektionen landesweit schon wieder bei 4.200. Vor diesem Hintergrund war die vorab angekündigte Rede des Präsidenten allseits mit großer Spannung erwartet worden. Im Vorfeld war durchgesickert, dass Macron wohl einschneidende neue Maßnahmen und Beschränkungen für die Franzosen verkünden würde.
Delta hat alles verändert
Macron hatte sich in der Vergangenheit immer gegen eine verbindliche Impfpflicht und medizinische Ausweispflicht als Zugangsvoraussetzung für bestimmte Lebensbereiche ausgesprochen. „Doch Delta hat alles verändert“. Mit diesen Worten begründete der Präsident das, was er nachfolgend als kurzfristig notwendige Maßnahmen verkündete. Und die stellen sich durchaus als einschneidend dar:
Bis zum 15.September müssen alle Beschäftigten im Pflege- und Medizinbereich einen vollständigen Impfnachweis beibringen. Das werde ab dem Stichtag engmaschig kontrolliert. Bei Verstoß drohen Sanktionen wie z.B. ein Arbeitsverbot. Französischen Zeitungsberichten zufolge bedeutet das, dass alleine für diesen Bereich 1,2 Millionen Menschen durchgeimpft werden müssen.
Ein Impfnachweis oder ein negativer PCR-Test ist bereits ab dem 21.Juli Voraussetzung für den Besuch von Veranstaltungen im Freizeit- und Kulturbereich. Ab Anfang August gilt das dann auch für den Besuch von Cafés, Restaurants, Einkaufzentren, medizinischen Einrichtungen, Züge, Flugzeuge und Überlandbusse.
Rechtzeitig vor Schulbeginn nach den Sommerferien würden Impfkampagnen vorbereitet für Lehrpersonal und alle Schüler ab dem 12.Lebensjahr. Und wohl um den Druck für gesteigerte Impfbereitschaft der Bevölkerung im allgemeinen zu erhöhen, müssen die Franzosen die bisher kostenlosen PCR-Tests ab September aus der eigenen Tasche bezahlen.
Run auf Impftermine kurz nach der Fernsehansprache
Französische Zeitungen berichten von einem Run auf „doctolib“, das zentrale Portal zur Vergabe für Arzt- und Impftermine. Bereits wenige Minuten nach Macrons Rede seien landesweit 17.000 Termine zur Erstimpfung vergeben worden: Jede Minute! Im weiteren Tagesverlauf nach der abendlichen Ansprache, also wohl allein bis Mitternacht, seien es dann schon insgesamt 212.000 Terminvergaben gewesen. Ein Rekord für Frankreich.
Derweil die im Parlament vertretenen Parteien Macrons Maßnahmenkatalog überwiegend als erforderlich und angemessen würdigten, verurteilten die rechtsnationale RN (Rassemblement National) von Marine Le Pen und die Linksauenpartei LFI die verkündeten Maßnahmen gleichermaßen: Das sei der Versuch des Präsidenten, ein Kontroll- und Diskriminierungsregime zu etablieren.
Im Vorfeld der Präsidentenrede hatte eine Umfrage in der Bevölkerung eine Zustimmungsrate von 72 Prozent für eine eventuelle Impf- und Ausweispflicht erbracht. Möglicherweise stand dieses Ergebnis unter dem Eindruck, dass verantwortliche Virologen und Epidemiologen angesichts der am vergangenen Sonntag auf 4.200 angestiegenen Neuinfektionen die Befürchtung geäußert hatten, dass ohne neue Maßnahmen die Zahl bis August auf bis zu 20.000 Neuinfizierte täglich anwachsen und dann das französische Gesundheitssystem überfordert werde.
Stark steigende Zahlen in Frankreich
Tatsächlich hat Frankreich im Gegensatz zu Deutschland schon seit etwa zwei Wochen wieder erheblich steigende Infektionszahlen im Zusammenhang mit Corona zu verzeichnen. Beispiel 7-Tage-Inzidenz: Diese stieg zwar in Deutschland zuletzt auch leicht auf zwischen 5,0 und etwa auf 6,3. In Frankreich liegt sie jedoch seit kurzem landesweit auf über 50. Während sie in Deutschland ausnahmslos unter 50 liegt. Und einzelne Kreise weisen in Frankreich beachtliche Spitzen auf: Acht Departements liegen deutlich über 50, Paris hat 86 und das Departement Pyrénnées-Orientales an der Grenze nach Spanien 130. Noch höher liegen die Zahlen in den französischen Übersee-Departements: La Reunion 168, Martinique 254. In diesen beiden Departements wurde deswegen aktuell wieder der Ausnahmezustand verhängt einschließlich Ausgangssperren.
Für den deutschen Beobachter in Frankreich bleibt nach der Präsidentenrede festzuhalten: Es ist wohl eine typisch französische Lösung. Positiv ist, dass der Präsident sich jetzt schon zum achten mal wegen erforderlicher Corona-Maßnahmen persönlich an das Volk gewendet hat. Eine solche Zuwendung an das Staatsvolk durch die Regierungschefin kennen wir in Deutschland schon lange nicht mehr.
Dass der Präsident die ersten einschneidenden Maßnahmen erst zum 21.Juli verfügt und nicht schon zum 14.Juli, dem Nationalfeiertag mit seinen traditionellen ausschweifenden Festivitäten: Der Präsident kennt seine Franzosen: Sie hätten so etwas zum 14.Juli, der großen Nationalparty einfach noch nicht mal ignoriert …
Bildquelle:
- Emmanuel Macron: dpa