BERLIN/HANNOVER – Auch dreieinhalb Monate vor der Bundestagswahl kommt die AfD nicht zur Ruhe. Nach Presseberichten über aktuelle Aktivitäten des rechtsextremen Teils der Partei hat der AfD-Bundesvorstand angekündigt, Hinweisen über den Aufbau neuer Strukturen des vom Verfassungsschutz beobachteten «Flügels» nachgehen.
Informationen dazu aus Niedersachsen seien ihm «parteiintern zugespielt worden, wie vielen anderen auch», sagte der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen am Freitag in einem Interview.
«Soweit da der Versuch besteht, Parallelstrukturen aufzubauen, ist das definitiv nicht hinnehmbar und parteischädigend», sagte Meuthen. Der Bundesvorstand der AfD entschied am Freitagabend, drei Parteimitglieder am Montag in einer Telefonkonferenz anzuhören, um im Anschluss daran über mögliche Parteiordnungsmaßnahmen zu beraten und zu entscheiden.
Unter der Bezeichnung «Patrioten» soll die Gruppierung aus Niedersachsen an den gewählten Kreisverbänden vorbei bei einem Treffen im Februar versucht haben, alte „Flügel“-Strukturen zu reaktivieren, berichten das Politikjournal „Rundblick“ sowie WDR und NDR unter Verweis auf Mitschnitte des Treffens und eine eidesstattliche Erklärung eines Anwesenden.
Der Generalsekretär der Niedersachsen-AfD, Nicolas Lehrke, sagte: «Uns sind nur entsprechende Meldungen aus den Medien bekannt, weshalb wir noch keinen vollständigen Überblick über das besagte Zusammentreffen vom 20. Februar 2021 haben». Der Bundesvorstand sei um weitergehende Informationen gebeten. «Wir legen allerdings Wert auf die Feststellung, dass es im Landesverband Niedersachsen keine «Flügel»-Strukturen gibt und unter dem Vorsitz von Jens Kestner auch nicht geben wird.» Nach den Medienberichten sollen auch Landesvorstandsmitglieder und mehrere Bundestagsabgeordnete bei dem Treffen in Verden dabei gewesen sein.
«Ich beglückwünsche uns dazu, dass wir die alten Flügel-Strukturen wieder reaktiviert haben», heißt es auf einem NDR und WDR vorliegenden Mitschnitt, nachdem auf dem Treffen sogenannte Regionalkoordinatoren gewählt wurden. Die Parallelstrukturen gingen «zu 100 Prozent» an den Kreisverbänden der AfD «vorbei» und müssten «konspirativ» sein. Die Koordinatoren seien nun «gewählte Vertreter des patriotischen Lagers». Ziel der neuen Strukturen sei es, «so darüber Mehrheiten zu gewinnen. Wir nennen es natürlich nicht so wie es früher hieß, wir nennen das dann irgendwie anders.» Die Aussagen werden nach NDR und WDR einem Landesvorstandsmitglied zugeschrieben.
Der Verfassungsschutz hatte den «Flügel» im März 2020 als rechtsextremistische Bestrebung eingestuft. Das bedeutet, dass die Gruppierung mit nachrichtlichen Mitteln beobachtet werden kann. Dazu gehört beispielsweise das Anwerben von Informanten, sogenannten V-Leuten. Das 2015 vom Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke gegründete Netzwerk hatte im Frühjahr vergangenen Jahres – wenige Tage nach der Bekanntgabe der Entscheidung des Verfassungsschutzes – auf Druck des Parteivorstandes seine Auflösung bekanntgegeben.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz zeigte sich davon jedoch unbeeindruckt. Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang sagte im Dezember, die Gruppierung habe sich «zwar formell aufgelöst, das Personennetzwerk wirkt aber im Hintergrund weiter». Aus Sicherheitskreisen hieß es auf Anfrage, man gehe davon aus, dass der sogenannte Flügel «weiter agiert, bis heute».
Relevant ist die Frage, ob der «Flügel» unter neuem Namen in irgendeiner Form weiterbesteht und wie viele Funktionäre dort aktiv sind, auch für die Einschätzung der Gesamtpartei durch den Verfassungsschutz. Dazu läuft aktuell am Kölner Verwaltungsgericht ein Rechtsstreit zwischen der Partei und dem Inlandsgeheimdienst.
Meuthen ist Mitglied des Europäischen Parlaments und führt die AfD seit Dezember 2019 gemeinsam mit dem Bundestagsabgeordneten Tino Chrupalla. Bei den Mitgliedern der Rechtsaußen-Strömung der AfD ist Meuthen inzwischen unbeliebt, weil er zuletzt mehrfach einen gemäßigten konservativen Kurs angemahnt hatte.
Bildquelle:
- AfD-Flügel: dpa