Europa versemmelt seine Zukunft: Von alten und neuen globalen Machtzentren

Wie überleben wir? Wie wird die zukunft aussehen? Wie ernähren wir die Menschen auf dem Planeten dauerhaft und sicher?

von ESTHER VON KROSIGK

BERLIN – Wie sieht Deutschland, wie sieht unsere Welt in ein paar Jahren aus? Was sind die Megatrends, die aus dem Heute das Morgen formen werden? Angesichts gravierender Probleme wie dem Ukraine-Krieg, hoher (illegaler) Zuwanderung, Versorgungsengpässen bei Lebensmitteln und Energie sowie anhaltender Teuerung und steigender Schulden dürften sich viele Menschen diese Fragen stellen. Kurzfristig gibt es allerdings kaum Hoffnung auf Besserung: Als düster wie nie beschrieb der Weltrisikobericht im Januar dieses Jahres die Aussichten – nach Jahrzehnten des Wachstums und Fortschritts scheint nun eine Ära der Deglobalisierung und des Rückschritts zu folgen, so die Prognose.

Wir stehen vor der Entwicklung einer neuen Weltordnung

Zukunftsforscher beschäftigen sich mit dem, was kommen wird: Mittels wissenschaftlicher Methoden und Szenarien eruieren sie, welche Entwicklungen und Ereignisse mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreffen werden. Sie können auch jene Länder und Regionen ausmachen, welche die Herausforderungen der kommenden Zeit gut überstehen und erfolgreich am Aufbau einer neuen Ära mitwirken werden. Denn laut Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx stehen wir „vor der Entwicklung einer neuen Weltordnung“, wie er in einem TV-Interview im Februar äußerte. Nach seiner Meinung tun sich zwei Wege auf: Der eine wäre ein neuer Universalismus, bei dem man sich innerhalb der nächsten 20 oder 30 Jahre auf bestimmte Weltregeln einigt, der andere Weg wäre eine klassische Spaltung der Welt in autokratische Regime. Quasi eine Wiederholung des Blockkonfliktes auf anderen Ebenen.

Bislang unbedeutende Länder könnten global an Bedeutung gewinnen

Der renommierte Politikwissenschaftler und Autor Parag Khanna geht davon aus, dass es künftig weltweit unterschiedlich starke Machtzentren geben wird, die unser bisheriges Verständnis von Macht grundlegend verändern werden. Es seien „die leicht zu übersehenden Länder“ wie etwa Kasachstan, Brasilien, Südafrika, Iran und Saudi-Arabien, die über den Ausgang globaler Machtverschiebungen mitentscheiden werden, sagte Khanna jüngst gegenüber der WELT. Denn diese Staaten hielten geschickt Kontakt zu allen Seiten und diese Flexibilität dürfte sich als Vorteil erweisen in einem globalen Umfeld, das künftig mehr und mehr einem Marktplatz gleiche. Bestimmte städtische Cluster und grenzüberschreitende Regionen, die durch Infrastruktur und Handelsströme verbunden sind, würden zunehmend als Treiber des globalen Wachstums und der politischen Einflussnahme fungieren.

Wachstum durch Lebensqualität, bessere Bildung und mehr Umweltbewusstsein

Doch auf dem internationalen Marktplatz geht es nicht nur mehr um den Austausch von Waren, um die Vergrößerung und Verfeinerung der Produktpalette, kurz: um rein ökonomisches Wachstum. „In Zukunft werden wir wahrscheinlich Wachstumsprozesse ganz anders messen“, urteilte der Visionär Matthias Horx in einem Gespräch mit „Der Aktionär“. Konjunktur werde immer noch mit einer Schablone gemessen, die vor hundert oder 250 Jahren erfunden wurde. Horx wörtlich: „In Zukunft werden wir Wachstumsprozesse wahrscheinlich ganz anders messen: Nicht mehr in BSB, sondern weltweit gibt es bereits Bestrebungen, Wachstum mit einer neuen Matrix zu versehen: Lebensqualität, Umweltqualität, Bildungsqualität. Bhutan ist das beste Beispiel: Ein armes Land hat das Glücksbruttosozialprodukt erfunden und es wächst wunderbar.“

Im „Asian Century“ besteht die Gefahr, dass Europa deutlich an Macht verliert

Generell wird Asien, so die Meinung des Futurologen Parag Khanna, bis zum Jahre 2100 voraussichtlich zu einem bedeutenden regionalen Machtzentrum aufgestiegen sein und global an Einfluss gewonnen haben. Im „Asian Century“ werden sowohl China als auch Indien die USA wirtschaftlich übertreffen und die Führung übernehmen in Bereichen wie künstliche Intelligenz, Robotik, Biotechnologie, erneuerbare Energien und Weltraumforschung. Bereits in den kommenden Jahrzehnten wird der Kontinent politisch enger zusammenwachsen – asiatische Städte entwickeln sich zu Megacitys mit intelligenter Infrastruktur, die das Leben vereinfacht.

Aufgrund Überalterung der Bevölkerung wird sich das Wirtschaftswachstum der USA dagegen verlangsamen. Parag Khanna glaubt, dass der Klimawandel gleichzeitig eine neue Form der Migration mit sich bringe, sowohl zwischen den Staaten Nord- und Südamerikas als auch innerhalb der Länder selbst. Dies wird voraussichtlich dazu führen, dass die amerikanischen Staaten sich stärker auf sich selbst und ihre unmittelbare Umgebung konzentrieren.

Und Europa? Für den alten Kontinent entwirft Parag Khanna ein Negativszenario. Es bestehe die Gefahr, dass Europa in eine Art Abschottungspolitik zurückfallen könnte, ähnlich wie im Mittelalter. Seine zukünftige Existenz hänge zudem davon ab, ob sich Europa von der selbst verursachten Euro-Depression befreien kann, sich auf seine fundamentalen Werte besinnt und so eine neue Dynamik freisetzt.

Bildquelle:

  • Mahlzeit_Indien: pixabay

Unterstützen Sie unsere Arbeit mit einer Spende

Jetzt spenden (per PayPal)

Jetzt abonnieren