EU und Ukraine verhandeln über Beitritt – warum eigentlich?

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser!

Der Verlauf des Brüsseler EU-Gipfels hat in Moskau für wenig Bluthochdruck gesorgt, berichtet heute Kollege Christoph Wanner von der „Welt“, den ich wegen seiner völlig unaufgeregten und unparteiischen Art der Berichterstattung über den Ukraine-Krieg sehr schätze und regelmäßig schaue.

Die Europäische Union (EU) hat beschlossen, Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldau aufzunehmen. Das war zu erwarten und es ist nichtssagend, eben eine Solidaritätsbekundung, ohne dass konkret etwas daraus folgt.

Die EU hat vor über 20 Jahren beschlossen, Beitrittsverhandlungen mit der Türkei auszunehmen. Und? Ist die inzwischen drin?

Ich weiß, man kann Türkei und Ukraine nicht direkt vergleichen. Die Türkei ist bevölkerungsreich, wirtschaftsstark und gleichzeitig finanziell häufig krisengeschüttelt. Als strategischer NATO-Partner an der Außengrenze zum Wahnsinn ist Ankara ein wichtiger Stützpfeiler für unsere Sicherheit, ob wir das gut finden oder nicht. Ohne die Luftwaffenbasis in Incirlik wären die Amis nahezu handlungsunfähig im Nahen Osten – abgesehen von hin und wieder kreuzenden Flugzeugträgergruppen, die natürlich auch nicht zu verachten sind.

Die Ukraine ist ein Land, das ohne finanzielle und militärische Hilfe des Westens keine Woche mehr überstehen würde. Im Osten und Süden des Landes durch den russischen Angriffskrieg schwer zerstört, insgesamt 200.000 Tote, vergewaltigte Frauen und verschleppte Kinder. Ein Land, das als durch und durch korrupt gilt, gleichzeitig aber mit Heldenmut darum kämpft, nicht wieder unter russische Herrschaft zu geraten.

Also der Beschluss, Beitrittsverhandlungen zu beginnen, hat keine unmittelbaren Auswirkungen, weder positiv noch negativ. Dass Viktor Orban rausging bei der Abstimmung ist nur eine Fußnote im Protokoll.

Orbán pflegt weiter gute Beziehungen zum russischen Staatschef Wladimir Putin. Das ist geboten für ein Land, dessen komplette Energieversorgung von Russland abhängt und dass keine Möglichkeit hat, diese irgendwie zu ersetzen. Der Ungar sprach sich gestern in Brüssel – wenig originell – für ein sofortiges Ende der Kriegshandlungen aus. Dabei weiß er, dass Putin daran kein Interesse hat, im Moment schon mal gar nicht.

Ungeachtet der aktuellen Situation halte ich im Interesse der Ukraine sowieso eine privilegierte Partnerschaft mit der Gemeinschaft für zielführender als unbedingt die Aufnahme in die EU. Die wird – wenn überhaupt – erst in vielen Jahren erfolgen. Eine PP würde die Ukraine zeitnah mit an die Tische in Brüssel und Straßburg bringen. Das wäre für Kiew wichtiger als eine Beitrittsperspektive, von der wir alle nicht wissen, ob sie jemals eingelöst wird.

Ich wünsche Ihnen einen schönen dritten Advent!

Herzliche Grüße,

Ihr Klaus Kelle

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.