Denkbar ist zudem, dass einer oder mehrere EU-Staaten bereits die Vergabe des Kandidatenstatus blockieren. Die Entscheidung dafür muss einstimmig fallen.
Scholz blickt zuversichtlich auf EU-Entscheidung zur Ukraine
Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich zuversichtlich gezeigt, dass die EU-Mitgliedstaaten eine gemeinsame Position zum Beitrittsgesuch der Ukraine finden werden, sagte Scholz in einem auf Englisch geführten TV-Interview der Deutschen Presse-Agentur: «Wir müssen akzeptieren, dass dies ein einstimmiges Votum von 27 Mitgliedstaaten ist, und wir werden einen gemeinsamen Ansatz finden müssen, aber ich bin recht optimistisch, dass wir das schaffen werden.» Die EU habe infolge der russischen Aggression gegen die Ukraine geschlossen gehandelt, «und wir werden das weiterhin tun», sagte der SPD-Politiker.
Die Empfehlung der EU-Kommission ist Grundlage für einen möglichen Beschluss der Mitgliedstaaten in der Frage. Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine wie auch mit Moldau sollen nach der Empfehlung der Behörde erst beginnen, wenn Reformauflagen umgesetzt wurden.
Scholz machte deutlich, dass die Hürden für einen EU-Beitritt hoch sind, und verwies unter anderem auf die Prinzipien der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie auf nötige Antikorruptionsgesetze – und das gelte für alle Länder, die in die EU strebten.
«Die Ukraine verdient eine europäische Perspektive»
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen warb mit eindringlichen Worten, ihre Empfehlung zu unterstützen. «Die Ukraine verdient eine europäische Perspektive», sagte sie und verwies unter anderem auf eine «sehr robuste präsidial-parlamentarische Demokratie» und eine sehr gute öffentliche Verwaltung.
Mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen das Land mit seinen rund 40 Millionen Bürgern sagte sie: «Die Ukrainer sind bereit, für die europäische Perspektive zu sterben.» Man wolle es ihnen deswegen ermöglichen, gemeinsam den europäischen Traum zu leben.
Zu dem nur rund 2,6 Millionen Einwohner starken Moldau sagte von der Leyen, der kleine Nachbar der Ukraine habe zuletzt mit einem klaren Mandat seiner Bürgerinnen und Bürger einen entscheidenden Schritt in Richtung Reformen getan.
Was ist mit den übrigen Kandidaten?
Keine ganz so guten Nachrichten hatte die frühere deutsche Ministerin für Georgien. Das im Südosten Europas gelegene Land mit rund 3,7 Millionen Einwohnern soll nach der Empfehlung ihrer Kommission erst den Kandidatenstatus bekommen, wenn es Auflagen erfüllt. Es würde demnach wie derzeit Bosnien-Herzegowina und das Kosovo vorerst nur ein potenzieller Beitrittskandidat sein.
Mit ihren Empfehlungen legte die Behörde die Grundlage für einen möglichen Beschluss der EU-Mitgliedstaaten. Die Staats- und Regierungschefs wollen bereits bei einem Gipfeltreffen Ende kommender Woche über das Thema beraten. Ob dabei schon eine Entscheidung getroffen werden kann, ist allerdings unklar, da die Ansichten der Regierungen zum Thema bislang weit auseinander gingen.
Skepsis aus Portugal
So hielt insbesondere Portugal die Vergabe des Kandidatenstatus an Staaten wie die Ukraine bis zuletzt für nicht angebracht. Es sei ein großes Risiko, dass man falsche Erwartungen kreiere, die dann zu einer bitteren Enttäuschung führen könnten, sagte Ministerpräsident António Costa jüngst der «Financial Times». Es brauche mehr praktische Unterstützung der Ukraine.
Ein weiteres Argument von Skeptikern ist, dass die EU mit ihrem Prinzip der Einstimmigkeit etwa in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik schon jetzt als schwerfällig gilt. Sie mahnen zunächst interne Reformen an, ehe neuen Mitgliedern die Tür geöffnet wird.
«Keine Beitrittsbewerber erster und zweiter Klasse»
«Wir müssen sicherstellen, dass dieselben Maßstäbe angewandt werden wie auch bei anderen Beitrittsbewerbern aus dem Westbalkan. Vor diesem Hintergrund wäre es für mich etwa nicht vorstellbar, der Ukraine einen Kandidatenstatus zu gewähren und zugleich Länder wie Bosnien-Herzegowina weiterhin außen vor zu halten», sagte Nehammer der «Welt». «Es darf keine Doppelstandards oder gar Beitrittsbewerber erster und zweiter Klasse geben», sagte er.
Der Westbalkan-Staat Bosnien-Herzegowina hatte bereits Anfang 2016 einen Beitrittsantrag gestellt und gilt seit Jahren lediglich als «potenzieller Beitrittskandidat». Nehammer betonte, es sei unbestritten, dass die Ukraine «Teil der europäischen Familie» sei.
«Erster Schritt zur Mitgliedschaft in der EU»
Kremlsprecher Dmitri Peskow kündigte an, dass Russland die Entwicklungen mit erhöhter Aufmerksamkeit verfolgen werde, weil es über die «Stärkung der Verteidigungskomponente der Europäischen Union» Bescheid wisse. «Es finden verschiedene Transformationen statt, die wir natürlich sehr genau beobachten», sagte er.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zeigte sich hingegen erfreut über die Empfehlung der EU-Kommission für den EU-Kandidatenstatus seines Landes. «Das ist der erste Schritt zur Mitgliedschaft in der EU», schrieb er beim Kurznachrichtendienst Twitter. Das würde auch den Sieg der Ukraine im seit Ende Februar währenden Krieg mit Russland näherbringen.
Ein positive Nachricht für Selenskyj kam zudem aus den Niederlanden. Die Regierung entschied dort, ihre Bedenken gegen einen EU-Kandidatenstatus der Ukraine aufzugeben und dem Vorschlag der Kommission zuzustimmen. «Hiervon geht das Signal aus: Wir lassen die Ukraine nicht sitzen», sagte Außenminister Wopke Hoekstra in Den Haag. Der Vorschlag der Kommission sei ausgewogen und trage der besonderen Situation der Ukraine Rechnung.
Bildquelle:
- Ukraine und die EU: dpa