„Erdogan nutzt jede Gelegenheit zur Provokation“ Fünf Jahre Flüchtlings-Deal mit der Türkei

ARCHIV - Tatsächlich ist die Zahl der Migranten, die auf den griechischen Inseln ankommen, deutlich zurückgegangen. Foto: Panagiotis Balaskas/AP/dpa

BRÜSSEL Zum fünfjährigen Bestehen des Flüchtlingsabkommens zwischen der EU und der Türkei steht die Abmachung weiter stark in der Kritik.

Politiker der deutschen Oppositionsparteien sehen den Deal gescheitert, der die Migration über die Türkei nach Griechenland eindämmen soll. Hilfsorganisationen fordern einen Kurswechsel der Migrationspolitik. Die Bundesregierung sieht hingegen nur Erfolge.

Unter dem Eindruck großer Flüchtlingsbewegungen verständigten sich die EU und das wichtige Transitland Türkei am 18. März 2016 auf eine gemeinsame Erklärung. Diese sieht unter anderem vor, dass die Türkei gegen unerlaubte Migration in die EU vorgeht und Griechenland illegal auf die Ägäis-Inseln gelangte Migranten zurück in die Türkei schicken kann. Im Gegenzug übernimmt die EU für jeden zurückgeschickten Syrer einen syrischen Flüchtling aus der Türkei und unterstützt das Land finanziell bei der Versorgung der Flüchtlinge. Zur gleichen Zeit entstanden auf den Ägäis-Inseln Lager, in denen die Migranten bis heute unter teils unwürdigen Bedingungen leben.

Tatsächlich ist die Zahl der Migranten, die auf den griechischen Inseln ankommen, deutlich gesunken. Bis März 2021 schickte die EU allerdings nur rund 2740 Migranten zurück in die Türkei. Die EU-Staaten nahmen 28.621 Menschen auf – deutlich weniger als in Aussicht gestellt. In der Corona-Krise rückten dann beide Seiten vom Abkommen ab. Die Türkei setzte die Rückübernahme von Migranten aus; die EU stoppte die Umsiedlung. Seit August nimmt die EU wieder Syrer auf. In der Türkei leben rund 3,6 Millionen syrische Flüchtlinge.

Doch nutzt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die Situation auch, um Druck auf die EU auszuüben. So erklärte er im vergangenen Frühjahr die Grenze zu Griechenland für Migranten für offen. Auch in anderen Bereichen ging Erdogan auf Konfrontation. Zudem fordert er immer wieder weitere Hilfszahlungen. Derzeit diskutieren die EU-Staaten, unter welchen Bedingungen es eine Fortsetzung des Abkommens geben könnte und wie sie aussehen könnte.

Der Politikwissenschaftler Maximilian Pichl sieht in den überfüllten Lagern auf den griechischen Inseln das Ergebnis einer Migrationspolitik, die seit 30 Jahren Verantwortung weiterreicht. «Das Narrativ, es handele sich bei den Zuständen auf Moria um eine «humanitäre Katastrophe», verdeckt, dass der «Moria-Komplex» Ergebnis politischer Entscheidungen und Kalküls ist», heißt es in einer Zusammenfassung seiner Analyse im Auftrag von Medico International. Die Politik der Auslagerung reiche zurück zu den Ursprüngen des EU-Asylsystems um die Jahrtausendwende, schreibt der Rechts- und Politikwissenschaftler von der Frankfurter Goethe-Universität.

Die Bundesregierung wertet das Abkommen hingegen als Erfolg. Beide Seiten hielten an der Vereinbarung fest und setzten sie gemeinsam um, Ssagte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer am Mittwoch. Es sei gelungen, das «tödliche Geschäftsmodell» der Schleuser in der Ägäis wirkungsvoll zu bekämpfen. Die Zahl der illegal Einreisenden nach Griechenland sei erheblich zurückgegangen, ebenso die Zahl der Todesfälle in der Ägäis.

Der Fraktionsvorsitzende der Christdemokraten im Europaparlament, Manfred Weber, äußerte sich ähnlich: «Die Kontrolle über die EU-Außengrenzen ist Grundvoraussetzung für das Funktionieren der Migrationspolitik», sagte der CSU-Vize der Funke Mediengruppe. «Hierfür war das EU-Türkei-Abkommen ein wichtiger Schritt.» Erdogan nutze zwar jede Gelegenheit zur Provokation, die Zusammenarbeit mit der Türkei sei jedoch notwendig. «Es ist auch mehr Engagement der EU gegenüber der Türkei denkbar.» Dies setze aber ein konstruktives Verhalten der Türkei voraus.

Bildquelle:

  • Flüchtlingslager auf Lesbos: dpa

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