EM-Zwischenfazit: Die sogenannten „Kleinen“ sorgen für jede Menge Spaß

Zwischenbilanz zur Fußball-EM in Deutschland

von MARK ZELLER

FRANKFURT/M. – Seit nunmehr zwei Wochen begeistert uns die EM mit täglichen Highlights und Kuriositäten. Morgen startet sie in die KO-Phase. Zeit für ein Zwischenfazit.

TOP

Fans: Stimmung auf den Straßen und in den Stadien, Ausnahmeatmosphäre bei wirklich jedem einzelnen Spiel, und das quer durch den Kontinent. Die Fans drücken diesem Turnier ihren Stempel auf, und mit Blick auf die letzten großen Turniere ist man geneigt zu sagen: Endlich wieder! Von Albanern über Eidgenossen und unseren orangenen Nachbarn bis zu den verschiedenen Vertretern der Mutterinsel des Fußballs. Alle zusammen beweisen: In Europa schlägt das Herz des Fußballs!

Die „Kleinen“: Zugegeben, der Satz, „es gibt keine Kleinen mehr im Fußball“ ist längst älter als die meisten heutigen Kicker. Doch die, die trotzdem noch allgemein für „Kleine“ befunden werden, begeistern durch die Bank. Kein Team blieb punktlos oder wurde deklassiert, die Slowakei, Slowenien und Georgien stehen gar im Achtelfinale. Ein „Zwergenaufstand“, der Spaß macht!

Christian Eriksen: Vor gerade einmal drei Jahren bangte die Fußballwelt um den Dänen, als der auf dem Platz einen Herzstillstand erlitt, den er nur knapp überlebte. Nun feiert er sein EM-Comeback – und krönt es mit einem Traumtor. Bei weitem nicht der einzige tolle Treffer und nicht die einzige persönlich ergreifende Story dieses Turniers, aber ein Paradebeispiel dafür, dass der Fußball immer noch die schönsten Geschichten schreibt.

Niklas Füllkrug: „Alexa, ich brauche einen Strafraumstürmer“. Niklas Füllkrug: „Hold my Zahnstocher!“ Nach vielen „falschen“ ist „Lücke“ der langersehnte „echte“ Neuner – in bester deutscher Mittelstürmertradition. Ein Spieler und Typ, der Spaß macht. Geradlinig und schnörkellos. Auf und neben dem Platz. Mehr davon! Da darf man schon auf die Schlagzeile fürs Finale hoffen, und auf den T-Shirt-Druck am Ballermann: Voll – Völler – Füllkrug.

Deutsche Mannschaft: Lieferte in den ersten beiden Spielen wie keine zweite Mannschaft im Turnier, und – was fast noch höher anzusiedeln ist: Obwohl schon fürs Achtelfinale qualifiziert, stemmte sich die Nagelsmann-Truppe im dritten Match, wo alles gegen sie lief, erfolgreich gegen eine Niederlage. Ergibt zusammen die Torfabrik des bisherigen Turniers. Das kann weit gehen! Und in dieser Verfassung heißt es auch gegen den Achtelfinal-Kontrahenten, der uns in Turnieren gerne mal in die Suppe gespuckt hat: Dänen zeigen wir’s!

FLOP

Der Modus: Das Motto in der Vorrunde lautet: Ausscheiden schwer gemacht. Wenn von 24 Teams 16 weiterkommen, kann man schwerlich von „Finalrunde“ sprechen. Bedeutet nämlich: In drei Vorrundenspielen kann sich eine Mannschaft mittlerweile bequem zwei Auszeiten nehmen. Und die Rechnerei in der eigenen Gruppe ist weniger relevant, als das Schielen auf die anderen Gruppen(dritten), womit man sich die Parallelspiele am letzten Gruppenspieltag auch schenken könnte – es sei denn, man ließe alle Gruppen gleichzeitig spielen. So aber musste Ungarn nach seinem letzten Gruppenspiel vier lange Tage auf seine Abreise warten – trotz Sieg., Dafür avanciert der „Turnierbaum“ bereits jetzt zum meistzitierten (Un)wort dieses Sommers. Zeit, an den mal Axt anzulegen.

Öffentlich Rechtliche / Leitmedien: Als hätte der haltungsorientierte Furor der stimmungsfernen Leitartikler mit seinen verlässlich wiederkehrenden Patriotismus- und Fahnen-kritischen Mahnungen im Vorfeld nicht gereicht, setzte die Öffentlich-Rechtliche Volkspädagogik noch vor Beginn des Turniers den Tiefpunkt: Der feierliche Moment der Hymne zur Eröffnung musste zwanghaft überlagert werden mit einer entschlossenen Textänderung in Richtung „Einigkeit und Recht und Vielfalt“. Kein Einzelfall, wie bereits die moderative Begleitung des nächsten Deutschen Spiels zeigte. Vorläufiger Höhepunkt: Das Einbremsen zweier Weltmeister für den Ausdruck „Spielermaterial“ durch einen untadeligen aber ansonsten eher gesichtslosen Moderator. Willkommen im Stuhlkreis der Dauerempörten! Ärgerlich nur, wenn man sich da selbst gar nicht hinbewegt hat, aber dafür Gebühren zahlen muss…

Favoriten: Wenn die „Kleinen“ aufmucken, liegt es auch an den „Großen“. Und tatsächlich ist bei denen bisher noch ordentlich Sand im Getriebe. England und Frankreich litten unter anhaltender spielerischer und Tor-Armut, Holland rettete sich so eben als Gruppendritter ins Achtelfinale, Europameister Italien erst durch ein Tor in allerletzter Sekunde, während der WM-Dritten Kroatien, durch eben dieses Tor auf der Strecke blieb. Keine Frage: Wollen die „Großen“ in diesem Turnier noch groß rauskommen, brauchen sie eine große Steigerung.

Flitzer:
Was angesichts ungelenker Ordner-Verfolgungsjagden nicht selten für Erheiterung sorgt, offenbart in Wahrheit ein veritables Sicherheitsproblem. Mit Ausnahme eines Spielortes (bzw. der Wahrnehmung des dortigen Zweitligisten), gehört ein Platzsturm während eines laufenden Spiels mal so gar nicht zum Sport. Umso irritierender, das daraus zunehmend ein Selfie-Understatement zu werden scheint, dem sich auch eitle Balltreter nicht verschließen. Dieser Unfug darf aber keinesfalls salonfähig werden. Zumal, nebenbei bemerkt die Flitzer früher deutlich ansehnlicher waren …

Eigentore:
Wohl eher ein Kuriosum als ein Flop: Bereits sieben Eigentore verbucht dieses Turnier – damit führt dieser „Own Goal“ (nicht zu verwechseln mit Owen, Michael) einsam die Torschützenliste an. Vier weitere solcher Treffer, und es stünde ein neuer Eigentor-Rekord zu Buche. Bei dem in dieser Disziplin gezeigten Potential erscheint das mehr als machbar.

Bildquelle:

  • Fußball-Kommentator: depositphotos

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