BRÜSSEL – Die EU hat erstmals seit mehr als 30 Jahren wieder Sanktionen gegen China wegen Verletzungen der Menschenrechte verhängt.
Die Außenminister der 27 Mitgliedstaaten beschlossen in Brüssel Strafmaßnahmen gegen Verantwortliche für die Unterdrückung der muslimischen Minderheit der Uiguren in der Region Xinjiang.
Als Reaktion kündigte die Regierung in Peking umgehend Gegensanktionen an. Aus Deutschland sollen sie den Grünen-Europaabgeordneten und China-Experten Reinhard Bütikofer, den CDU-Europaabgeordnete Michael Gahler sowie den Uiguren-Forscher Adrian Zenz und das renommierte Mercator-Institut für China-Studien (Merics) treffen.
Das Außenministerium in Peking warf ihnen am Montag vor, «Chinas Souveränität und Interessen schwer zu schaden und bösartig Lügen und Desinformationen zu streuen». Den genannten Personen und ihren Familien werde es verboten, nach China, Hongkong und Macao zu reisen. Ihnen und Unternehmen oder Institutionen, die mit ihnen in Verbindungen stünden, werde ferner untersagt, Geschäfte in China zu machen.
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) bezeichnete die Maßnahmen Pekings in Brüssel als «weder nachvollziehbar noch akzeptabel». «Wir haben Menschen sanktioniert, die gegen Menschenrechte verstoßen haben», erklärte er. «Die Chinesen haben Parlamentarier und wissenschaftliche Organisationen sanktioniert.»
Die EU-Sanktionen sehen vor, dass sämtliche Vermögenswerte der betroffenen natürlichen oder juristischen Personen eingefroren werden. Außerdem dürfen ihnen kein Geld oder wirtschaftliche Ressourcen mehr zur Verfügung gestellt werden. Die Einreise in die EU ist ihnen nun ebenfalls verboten.
Zu den vier betroffenen Chinesen zählen laut dem aktuellen EU-Amtsblatt der Direktor des Büros für öffentliche Sicherheit von Xinjiang, Chen Mingguo, sowie Vertreter des Parteikomitees des Uigurischen Autonomen Gebiets Xinjiang. Zudem wurde das Büro für öffentliche Sicherheit als Institution in die EU-Sanktionsliste aufgenommen.
Alle Betroffenen sind nach Auffassung der EU für die massenhafte willkürliche Internierung und erniedrigende Behandlung von Uiguren und Angehörigen anderer muslimischer ethnischer Minderheiten sowie systematische Verstöße gegen die Religions- und Weltanschauungsfreiheit dieser Menschen verantwortlich. Die Menschenrechtsverletzungen seien im Zuge eines «großangelegten Überwachungs-, Internierungs- und Indoktrinationsprogramms» gegen muslimische ethnische Minderheiten erfolgt, heißt es im EU-Amtsblatt.
Menschenrechtsgruppen schätzen, dass Hunderttausende Uiguren, Kasachen, Hui oder Mitglieder anderer Minoritäten in Xinjiang in Umerziehungslager gesteckt worden sind. China weist die Vorwürfe zurück und spricht von Fortbildungszentren.
Uiguren sind ethnisch mit den Türken verwandt und fühlen sich in Xinjiang von den herrschenden Han-Chinesen unterdrückt. Nach ihrer Machtübernahme 1949 in Peking hatten die Kommunisten das frühere Ostturkestan der Volksrepublik einverleibt. Peking wirft uigurischen Gruppen Terrorismus vor.
Der chinesische EU-Botschafter Zhang Ming hatte die EU-Sanktionspläne bereits in der vergangenen Woche scharf kritisiert. «Sanktionen sind konfrontativ», ließ er mitteilen. Sein Land wolle Dialog, werde aber nicht klein beigeben, wenn andere auf Konfrontation bestehen sollten. Am Montag hieß es aus Peking, man dränge die EU, die Ernsthaftigkeit ihres Fehlers klar zu erkennen und ihn wieder gut zu machen. Die EU-Sanktionen seien eine «schwere Einmischung in Chinas innere Angelegenheiten». Sie basierten «auf nichts anderem als Lügen und Desinformationen, verzerren und missachten Fakten». Sollte die EU nicht davon absehen, «weiter den falschen Weg zu gehen», werde China entschlossen weitere Gegenmaßnahmen ergreifen.
Wegen Menschenrechtsverletzungen hatte die EU zuletzt nach dem Massaker am Platz des Himmlischen Friedens in Peking 1989 Strafmaßnahmen gegen China verhängt. Sie umfassen unter anderem ein Waffenembargo, das bis heute gilt. Bei der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung waren bei einem Einsatz der Volksbefreiungsarmee gegen friedliche Demonstranten Hunderte Menschen ums Leben gekommen. Die genaue Zahl ist bis heute nicht bekannt.
Bereits im vergangenen Jahr hatte sich Peking «tief besorgt» über EU-Sanktionen gezeigt, die wegen Cyberangriffen gegen ein Unternehmen und zwei Hacker aus China verhängt wurden. Die Betroffenen haben nach Auffassung der EU weltweit Informationssysteme multinationaler Unternehmen angegriffen.
Dass die EU erst in diesem Jahr Sanktionen wegen des chinesischen Umgangs mit den Uiguren verhängt, hat nach Ansicht von Kritikern vor allem damit zu tun, dass China für die EU ein äußerst wichtiger Handelspartner ist. So war erst im vergangenen Dezember unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft eine grundsätzliche Einigung auf ein Investitionsabkommen erzielt worden, das europäischen Unternehmen Geschäfte in China erleichtern soll.
Vor allem auch in den USA wurde dieser Schritt kritisch gesehen, da der neue Präsident Joe Biden eigentlich eine Allianz mit Verbündeten wie den Europäern im Umgang mit China schaffen will. Wie Bidens Regierung sich den vorstellt, zeigte sich in der vergangenen Woche. Beim ersten ranghohen Treffen zwischen den USA und China seit dem Amtsantritt von Biden überzog US-Außenminister Antony Blinken China mit schweren Vorwürfen. So äußerte er nicht nur «tiefe Besorgnis» angesichts der Menschenrechtslage in der Metropole Hongkong und in Xinjiang, sondern warf China auch vor, für Cyber-Angriffe verantwortlich zu sein und US-Verbündete mit wirtschaftlichen Druck zu erpressen.
Wegen der Unterdrückung von muslimischen Minderheiten hatten die USA bereits im vergangenen Sommer noch unter Präsident Donald Trump Sanktionen gegen führende chinesische Politiker und eine Institution erlassen.
Am Montag verhängte die US-Regierung nun in Absprache mit ihren europäischen Partnern weitere Sanktionen gegen Personen, die bislang noch nicht mit Strafmaßnahmen belegt waren. «Den chinesischen Behörden drohen Konsequenzen, so lange die Grausamkeiten in Xinjiang andauern werden», erklärte die Leiterin des Sanktionsbüros im US-Finanzministerium, Andrea M. Gacki.
Bildquelle:
- EU-Kommission in Brüssel: dpa