Eine Welle von Privatinsolvenzen rollt auf Deutschland zu

ARCHIV - Crifbürgel erwartet, dass die unmittelbar von der Corona-Pandemie verursachte Insolvenzwelle wohl ab dem zweiten Halbjahr 2021 einsetzen und bis in das Jahr 2022 hineinreichen wird. Foto: Alexander Heinl/dpa

HAMBURG – Ein Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie zeichnet sich ein massiver Anstieg der Privatpleiten ab. Nach Angaben der Wirtschaftsauskunftei Crifbürgel erhöhte sich die Zahl der Menschen, die den Gang zum Insolvenzgericht antreten mussten, bereits im ersten Quartal sprunghaft.

Gemeldet wurden demnach 31.821 Privatinsolvenzen. Das waren 56,5 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Nach zehn Jahren sinkender Zahlen erwartet Crifbürgel in diesem Jahr in etwa eine Verdoppelung der Privatpleiten auf bis zu 110.000 Fälle. Auch Verbraucherschützer rechnen mit einem Anstieg. Sie fordern einen Ausbau des Beratungsangebotes.

Erster Auslöser: Gesetzesreform

Den Anstieg zu Jahresbeginn führte Crifbürgel-Geschäftsführer Frank Schlein vor allem darauf zurück, dass viele Betroffene eine Gesetzesreform abgewartet hätten. Verbraucher können inzwischen einfacher nach drei statt wie bisher nach sechs Jahren von ihren Restschulden befreit werden. Die Verkürzung gilt rückwirkend auch für Insolvenzverfahren, die ab dem 1. Oktober 2020 beantragt wurden.

«Da diese Reform ein großer Vorteil ist, haben viele Antragssteller auf den entsprechenden Beschluss des Bundestages gewartet», erläuterte Schlein.

Corona-Folgen kommen erst noch

Die unmittelbar von der Corona-Pandemie verursachte Insolvenzwelle wird nach Einschätzung der Wirtschaftsauskunftei wohl ab dem zweiten Halbjahr 2021 einsetzen und bis in das Jahr 2022 hineinreichen. Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie seien nicht nur für Beschäftigte im Niedriglohnbereich existenzbedrohend, sondern auch im mittleren Einkommensbereich deutlich spürbar, zum Beispiel durch Kurzarbeit. Hinzu komme Arbeitslosigkeit. Auf Dauer führe weniger Einkommen erst in die Überschuldung und dann in die Privatinsolvenz.

Verbraucher haben vor allem Schulden bei Kreditinstituten, Versandhändlern, Versicherungen, Behörden, Vermietern, Energieversorgern und Telefongesellschaften. Für Privatpersonen gibt es keine unmittelbare Insolvenzantragspflicht. Nach Erfahrung von Insolvenzverwaltern wenden sie sich in der Regel erst an Beratungsstellen, wenn der Druck zu groß wird, zum Beispiel weil die Bank das Konto sperrt oder das Finanzamt vollstreckt.

Fehlende Beratung wirkt sich aus

Nach Einschätzung von Christoph Zerhusen von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen gibt es neben der Gesetzesänderung noch einen weiteren wichtigen Grund für aktuell steigende Insolvenzzahlen: Auch die Schuldnerberatungsstellen waren zu Beginn der Pandemie zeitweise geschlossen. «Persönliche Beratung ist jedoch ganz wichtig. Es braucht ein Vertrauensverhältnis, um die Situation der Betroffenen vollständig aufzuklären.»

Ob die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu einer Welle von Privatpleiten führen, ist aus seiner Sicht derzeit schwer einzuschätzen. «Ich erwarte kurz- und mittelfristig eher einen stetigen Anstieg.» Die Politik sollte auf jeden Fall das Beratungsangebot zur Krisenbewältigung ausbauen, forderte Zerhusen.

«Wir stellen inzwischen flächendeckend in unseren Beratungsstellen fest, dass Menschen durch die Corona-Krise in die Schuldenfalle geraten sind», so Zerhusen weiter. Das gelte vor allem für die Reisebranche, die Gastronomie und das Veranstaltergeschäft. «Auch Menschen, die vor der Krise ihr Einkommen mit Nebenjobs aufgebessert haben, wie Rentner oder Studierende sind teilweise betroffen.»

Alle Bundesländer betroffen

Steigende Zahlen wurden Crifbürgel zufolge im ersten Quartal in allen Bundesländern festgestellt. Den stärksten Zuwachs an Privatinsolvenzen verzeichnete Mecklenburg-Vorpommern (plus 86,7 Prozent) gefolgt von Nordrhein-Westfalen (plus 81,1 Prozent), Hamburg (plus 77,5 Prozent) und Thüringen (plus 75,3 Prozent). Einen nur geringen Anstieg von 0,3 Prozent meldete Sachsen-Anhalt.

Im Bundesschnitt gab es den Angaben zufolge 38 Privatpleiten je 100.000 Einwohner. Angeführt wird diese Statistik von Bremen mit 76 Privatinsolvenzen je 100.000 Einwohnern, gefolgt von Hamburg mit 57 Fällen. Über dem Schnitt rangierten auch Niedersachsen (52), Schleswig-Holstein und das Saarland (je 49), Mecklenburg-Vorpommern (47) sowie Nordrhein-Westfalen (45). Am wenigsten Privatinsolvenzen je 100.000 Einwohner wurden den Angaben zufolge in Bayern (26), Hessen (29) und Thüringen (30) gemeldet.

Bildquelle:

  • Privatpleiten zu Jahresbeginn gestiegen: dpa

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