Eine Schwangerschaft ist keine Krankheit

Liebe Leserinnen und Leser,

Deutschlands geballte Linke hatte gestern einen großen Erfolg zu feiern. Wobei feiern und Erfolg beim Thema Abtreibung wirklich ekelhafte Begriffe sind. «Heute ist ein großartiger Tag,» sagte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) im Bundestag. Sie meint damit die Entscheidung der Ampelparteien und der Linke, das Werbeverbot für Schwangerchaftsabbrüche abzuschaffen.

Im Paragraphen 219 a des Strafgesetzbuches war bisher Werbung für Abtreibung verboten. Also, dass man zum Beispiel in der Straßenbahn keine Werbetafeln anbringen darf, wo man im Falle einer ungewollten Schwangerschaft preisgünstig „Hilfe“ finden kann. Ich finde das ganz übel, dass demnächst an Litfasssäulen Plakate für Abtreibungskliniken geklebt werden könnten. Aber in diesem Land ist inzwischen alles möglich.

Ich habe wirklich überlegt, ob ich hier heute Nacht etwas zu diesem Thema schreiben soll. Denn wenn sie als alter weißer Mann, noch dazu hetero, etwas über Abtreibung schreiben, können sie nur verlieren, egal, was sie schreiben. Denn: „Mein Bauch gehört mir!“ nehmen viele Frauen, hierzulande vermutlich die Mehrheit, als selbstverständliches Recht in Anspruch. Das Problem ist dabei: Es geht gar nicht um den Bauch der Frau, es geht darum, was dort heranwächst. Und das ist eben nach drei Monten nicht mehr bloß ein „Zellklumpen“. Klar, der Fötus ist noch nicht allein lebensfähig, aber ein gerade geborener Säugling ist das auch nicht.

Der australische Philospoph Peter Singer spricht einem Embryo sogar grundsätzlich die Menschenwürde und damit das Lebensecht ab. Er wirft die Frage auf, ob man Säuglinge, bei denen nach der Geburt eine Behinderung festgestellt wird, nicht besser sterben lassen sollte, ja ihnen in dem Fall, dass sie nicht von selbst sterben, sogar eine tödliche Injektion verabreichen sollte. Ähnliches haben wir ja auch schon auf einem Juso-Bundeskongress gehört, wo sich die jungen Sozialisten über einen angenommenen Antrag freuten wie in der Fankurve im Fußballstadion, dass man ungeborene Kinder bis zur  Geburt töten lassen sollen dürfe. Wie krank ist das denn?

Bei diesem Thema ist der breit festzustellende Verlust ethischer Normen und auch christlicher Moral unübersehbar, und was für konkrete Folgen daraus erwachsen, wenn die Volkskirchen nicht mehr glaubwürdig sind auch bei der Verteidigung des uneingeschränkten Lebensrechtes eines jeden Menschen inklusive der Sterbehilfe.

Ich habe 1974 begonnen, mich selbst zu politisieren. Das eine entscheidende Thema war dabei die neue Ostpolitik von Willy Brand und natürlich im Zusammenhang damit die Teilung Deutschlands, Mauer und Schießbefehl. Und das zweite Thema war die strikte Ablehnung von Abtreibung. Dabei war ich durch unsere Familie kein Stück im christlichen Glauben verankert, ich selber glaubte nicht an Gott, aber es kam mir ungerecht und unnatürlich vor, ein beginnendes Menschenleben im Mutterleib zu zerstückeln.

Aber bitte, ich weiß genau, dass es unter Ihnen, die das hier lesen, viele Menschen geben wird, die selbst in einer solchen Konfliktsituation gewesen sind. Frauen, die ungewollt schwanger geworden sind, denen kann man nicht mit „True love waits“ kommen oder mit dem erhobenen moralischen Zeigefinger. Wer wäre ich, dass ich das Recht dazu hätte?

Unstrittig für mich ist die Gefahr des Lebens der Mutter bei der Geburt als ein nachvollziehbarer Grund. Eine Schwangerschaft als Folge einer Vergewaltigung – wer will die betroffene Frau gesetzlich zwingen, dieses Kind auszutragen, selbst wenn sie es später zur Adoption abgeben würde? Das sind Grenzen, die niemand anders als die schwangere Frau für sich ausloten kann.

Drei Prozent der mehr als 100.000 Abtreibungen jedes Jahr in Deutschland werden mit medizinischen Indikationen begründet. 97% mit sozialen Indikationen. Da sollte man ansetzen  Abtreibung ist strafbewehrt nach unseren Gesetzen, aber wenn sich eine Frau in den ersten drei Monaten beraten lässt, darf sie den Abbruch vornehmen lassen, ohne vor Gericht gestellt zu werden.

Das Thema Abtreibung ist so unglaublich schwierig zu diskutieren, weil der Grad der Betroffenheit so hoch ist. Jeder kennt ein Paar oder eine Frau, wo es schonmal eine oder auch mehrere Abbrüche gab. Was soll man ihnen sagen? Wissen wir die Hintergründe, wissen wir darum, wie schwer die Abtreibung auf dem Gewissen liegt, welche Auswirkungen das auf das weitere Leben der Frau hat? Vor 25 Jahren saß ich in Berlin in meiner damaligen Redaktion, als zwei Journalistinnen in mein Büro stürmten, ich war damals Chefredakteur dort. „Du musst unbedingt mal mit der Ulli* sprechen“, sagten sie, und ich wiegelte ab. Keine Zeit. Andere Termine blabla… Doch sie ließen nicht locker und schoben die junge Kollegin – sie war in Ausbildung – zu mir ins Büro. „Was ist denn?“, wollte ich unwillig meine Ablehnung zum Ausdruck bringen. Die drei jungen Frauen schauten mich an, und die jüngste sagte mit leiser Stimme: „Ich bin schwanger…“

Ja, der Tag nahm eine abrupte Wendung. Mein Stellvertreter übernahm, alle Termine abgesagt, und sie und ich raus zum Italiener um die Ecke und reden und reden. Der Erzeuger war weg, sie hatte Angst. Angst vor allem, der Geburt, der Zukunft, der Reaktion ihrer Eltern und natürlich um ihre Ausbildungsstelle und den Job bei uns. Sie werden verstehen, dass ich es nicht im Detail erzähle, und es ist ganz sicher nicht alleine mein „Verdienst“ letztlich, da waren viele Freundinnen, verständnisvolle Eltern der Mutter, hilfsbereite Kollegen. Aber was soll ich sagen: Das Kind kam zur Welt, gesund und munter, ein Mädchen. Seit damals mit einem klasse Patenonkel übrigens…

Was ich sagen möchte, auch als alter weißer Mann mit fünf Kindern: Jedes Leben, jeder Mensch ist unendlich kostbar. Niemand kann einer Frau in einer echten Notlage eine solche Entscheidung abnehmen. Aber ich würde empfehlen, nicht automatisch an Probleme und Abtreibung zu denken, wenn sich die dünne hellgraue Linie im zweiten Sichtfenster verfärbt. Einfach mal eine Nacht drüber schlafen und dann mit Vertrauten, am besten dem Partner, der da ist, vielleicht auch den Eltern, darüber sprechen: wie bekommen wir das hin, zusammen mit diesem Kind glücklich zu werden?

Mit herzlichen Grüßen,

Ihr Klaus Kelle

(* Name geändert)

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.