BERLIN – Ein Jahr nach der «Zeitenwende»-Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag hält die oppositionelle CDU ihm verpasste Chancen vor. «Die richtigen Worte aus der Rede von Scholz wurden nicht in ein politisches Programm umgesetzt», sagte der CDU-Außenexperte Roderich Kiesewetter der «Augsburger Allgemeinen».
Scholz hatte wenige Tage nach der russischen Invasion in die Ukraine einen Richtungswechsel in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik und ein 100 Milliarden Euro schweres Sondervermögen zur Modernisierung der Bundeswehr angekündigt.
Spahn: «Der Kanzler bricht seine Versprechen»
«Die Bundeswehr hat ungeheure Defizite und die Zeitenwende hat bei ihr bislang noch gar nicht begonnen», sagte Kiesewetter. «Die Truppe hat ein Jahr verloren und ist nun blanker als Anfang 2022.» Kiesewetter bezieht sich damit auf einen Social-Media-Post von Heeresinspekteur Alfons Mais, der am Tag des Kriegsbeginns geschrieben hatte: «Die Bundeswehr, das Heer, das ich führen darf, steht mehr oder weniger blank da.»
Unionsfraktionsvize Jens Spahn (CDU) sagte der «Neuen Westfälischen», die Rede des Kanzlers sei grundsätzlich richtig gewesen. «Ich dachte an dem Tag: Wow, das kann diese Kanzlerschaft prägen», erinnert sich Spahn. «Leider hat die Bundesregierung die Flughöhe schon am Folgetag nicht mehr gehalten. Der Kanzler bricht seine Versprechen.» Von dem Bundeswehr-Sondervermögen sei bisher «so gut wie nichts verplant» worden.
Laut Kiesewetter ging Scholz bei seiner Rede davon aus, dass russische Truppen die Ukraine innerhalb weniger Tage erobern könnten und «dann an der polnischen Grenze stehen». Doch es sei anders gekommen. «Als man merkte, dass die Ukraine sich erfolgreich zu Wehr setzte, erlahmte dieser Schwung sofort.»
Esken: «Deutschland wird verteidigungspolitisch reifen»
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken wies die Vorwürfe in der «Augsburger Allgemeinen» zurück. Die Kanzler-Rede «enthielt ein klares Signal an unsere wichtigsten Verbündeten: Deutschland wird verteidigungspolitisch reifen», sagte sie. In schnelllebigen Zeiten werde dann verlangt, dass sich dieser Prozess «in Echtzeit» abspiele. «Gerade in der Verteidigungspolitik muss aber ein Teil abseits der Öffentlichkeit geschehen, auch wenn ich verstehen kann, dass der ein oder andere ein Problem damit hat», sagte Esken.
Aus dem Sondervermögen wurden im Haushaltsjahr 2022 keine Mittel verwendet, allerdings sind laut Verteidigungsministerium inzwischen rund 30 Milliarden Euro verplant. Die Rüstungsindustrie beschwerte sich mehrfach über die schleppende Auftragsvergabe. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) kündigte am Sonntag in der ARD-Sendung «Bericht aus Berlin» an, dass die Rüstungsfirmen künftig Abschlagszahlungen für Aufträge erhalten sollen und nicht erst bei Lieferung bezahlt wird. «Das machen wir jetzt in Zukunft. Einfach auch, um zu dokumentieren, dass Geld abfließt», sagte Pistorius.
Er bekräftigte zudem seine Forderung nach einer Aufstockung des Verteidigungshaushaltes: «Klar ist nur, das muss man in aller Deutlichkeit noch mal unterstreichen, die 100 Milliarden Sondervermögen sind das eine, die werden noch drei Jahre brauchen, bis sie ausgegeben sind», sagte er. «Und danach wird es aber feststehen, dass wir mehr brauchen. Übrigens auch schon für den laufenden Betrieb.» Der Etat des Verteidigungsministeriums müsse deutlich wachsen, «weil wir sonst die Aufgaben nicht wahrnehmen können, die es 30 Jahre lang nicht wahrzunehmen galt».
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- Olaf Scholz: dpa