Ein Blick in die Glaskugel: So könnte die nächste Bundestagsfraktion aussehen

ARCHIV - Personen gehen vor den Sitzungssälen der AfD Fraktion im Deutschen Bundestag. Foto: Michael Kappeler/dpa

BERLIN – Wie groß die nächste AfD-Bundestagsfraktion sein wird, kann vor der Wahl am 26. September zwar noch niemand sagen. Doch ein Blick auf die jetzt aufgestellten Kandidaten der AfD lässt vermuten, dass es auch im neuen Bundestag markige Sprüche und viel Aufregung geben wird wie in den vergangenen vier Jahren.

Radikalere Töne

Der Anteil der Anhänger des Rechtsaußen-Flügels der Partei dürfte in der neuen Fraktion zwar nicht signifikant ansteigen. Die vergangenen Monate haben aber gezeigt, dass auch etliche Funktionäre, die dort eigentlich ideologisch gar nicht verortet sind, auf der Suche nach Mehrheiten manchmal gerne bereit sind, wenn es gerade oportun ist, radikalere Töne anzuschlagen. Auch die neue Fraktion wird wenige Frauen und viele Ex-Militärs in ihren Reihen haben.

Dass die AfD wohl auch im nächsten Bundestag die Fraktion mit dem niedrigsten Frauenanteil sein wird, ist jetzt schon absehbar. In Niedersachsen ist am vergangenen Wochenende beispielsweise keine einzige Frau auf die Liste gewählt worden. In Nordrhein-Westfalen schaffte es nur eine im fünften Wahlgang auf einen halbwegs aussichtsreichen Listenplatz.

Sichere Listenplätze

Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, käme die AfD auf zehn bis zwölf Prozent der Stimmen. Bei der Wahl im September 2017 hatte sie 12,6 Prozent der Zweitstimmen erhalten. Legt man die aktuellen Umfragewerte als Maßstab an, wären die bekannteren Frauen aus der Fraktion von 2017 über ihre relativ sicheren Listenplätze wieder dabei: Das gilt für die aktuelle Fraktionschefin und Spitzenkandidatin Alice Weidel, Beatrix von Storch, Mariana Harder-Kühnel aus Hessen, die im Wettbewerb um die Spitzenkandidatur unterlegene Joana Cotar sowie für Corinna Miazga.

Der relativ hohe Anteil der Abgeordneten aus dem Militär bleibt stabil. Und zwar auch falls es der derzeitige Vorsitzende der AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Georg Pazderski, über den vierten Platz der Landesliste von Berlin nicht in den Bundestag schaffen sollte. Denn ein Bundeswehr-General im Ruhestand, Joachim Wundrak, wird als Nummer Eins in Niedersachsen wohl sicher Teil der neuen Fraktion sein. Einige AfD-ler vermuten, dass Wundrak sich in der neuen Fraktion weniger um Verteidigung, sondern um Außenpolitik kümmern könnte. Da herrscht weniger Gedränge, weil einige derjenigen, die dieses Feld in der AfD bisher für sich beansprucht haben, absehbar nicht mehr dabei sein werden.

Was auffällt: Diejenigen, die in dieser Wahlperiode durch besonders markige, teils fremdenfeindliche Äußerungen aufgefallen sind, konnten sich dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – erneut gute Listenplätze sichern. Das Gleiche gilt für Abgeordnete, die durch Störaktionen wie etwa das Einschleusen von Besuchern, die Abgeordnete bedrängten und beschimpften, für Schlagzeilen sorgten.

Neulinge mit Nähe zu Höcke

Hansjörg Müller, der den Verfassungsschutz auflösen will, ein satirisches Schmäh-Video über seinen nun nicht mehr aufgestellten Fraktionskollegen Roland Hartwig veröffentlichte und als Redner bei Querdenker-Demos auftrat, ist zwar raus. Grund für seine Niederlage bei der bayerischen Aufstellungsversammlung waren jedoch nach Angaben aus Parteikreisen weder seine politischen Botschaften noch seine Nähe zum inzwischen formal aufgelösten «Flügel», den der Verfassungsschutz als rechtsextremistische Bestrebung beobachtet. Einige Delegierte hätten ihm vielmehr übelgenommen, wie offensiv er sich in den vergangenen Monaten gegen die Landesvorsitzende Miazga in Stellung gebracht habe. Miazga hatte Ende 2020 ihre Krebserkrankung öffentlich gemacht. Sie setzte sich in der Abstimmung für Platz zwei der Landesliste schließlich gegen Müller durch.

Zu den auffälligen Neulingen, die über einen relativ sicheren Listenplatz in den Bundestag rutschen dürften, zählt sicher Christina Baum aus Baden-Württemberg. Begeistert teilt die ehemalige Landtagsabgeordnete auf ihrer Facebook-Seite Beiträge des «Flügel»-Gründers und Thüringer AfD-Chefs Björn Höcke. Selbst postet sie Sätze wie «Deutschland kennt keine Ehre und keinen Stolz mehr. Was ist aus dem einst großen Volk der Dichter und Denker geworden? Nur noch ein Schatten seiner selbst. Eine Nation liegt im Sterben.»

Mitglidschaft im Geheimdienst-Kontrollgremium fraglich

Aus Thüringen könnte Torben Braga (Platz vier der Landesliste) in den Bundestag einziehen. Er hat in Höckes Landtagsfraktion bisher als parlamentarischer Geschäftsführer eine Schlüsselposition. 2015 war Braga Sprecher der Deutschen Burschenschaft. Die darin als Dachverband organisierten Gruppen waren damals massiv in die Kritik geraten. Ihnen war vorgeworfen worden, nicht konsequent genug gegen rechtsextreme Strömungen in den eigenen Reihen vorzugehen. Zahlreiche Studentenverbindungen waren in der Folge ausgetreten.

Nicht mehr für den Bundestag kandidieren wird Roman Reusch, der früher Oberstaatsanwalt in Berlin war. Dabei hätte er nach Einschätzung von Parteimitgliedern durchaus Chancen gehabt, von seinem brandenburgischen Landesverband aufgestellt zu werden. Mit Reuschs Ausscheiden stellt sich die Frage, ob aus den Reihen der AfD erneut jemand in das Geheimdienst-Kontrollgremium des Bundestages gewählt wird. Das neunköpfige Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) überwacht den Bundesnachrichtendienst (BND), den Militärischen Abschirmdienst (MAD) und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Die Abgeordneten tagen regelmäßig unter strenger Geheimhaltung in einem abhörsicheren Raum.

Über Reusch gab es, was die Verschwiegenheit angeht, keine Klagen aus dem Kreis der Mitglieder des Gremiums. Allerdings war die Situation bei seiner Wahl noch eine andere als heute. Inzwischen sind Teilorganisationen der AfD wie der 2020 formal aufgelöste Flügel und die Junge Alternative sowie mehrere Landesverbände der Partei im Visier des Verfassungsschutzes. Einer der Interesse hätte, sich als Mitglied im PKGr zu bewerben, ist nach eigener Aussage der AfD-Abgeordnete Gerold Otten. Vor seinem Einzug in den Bundestag hat der frühere Kampfpilot und Oberst der Reserve in der Rüstungsindustrie gearbeitet.

Bildquelle:

  • AfD-Fraktion: dpa

Unterstützen Sie unsere Arbeit mit einer Spende

Jetzt spenden (per PayPal)

Jetzt abonnieren