Die Union stürzt auf 30% ab, alle streiten, am Sonntag Landtagswahlen: Ja, wer bleibt dann noch, um alles zu richten?

Die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel geht am Montag (14.11.2011) in Leipzig auf dem CDU-Parteitag an einem CDU-Logo vorbei. Vom 14.-15.11.2011 findet in Leipzig der 24. Bundesparteitag der CDU statt. Foto: Peter Kneffel dpa/lsn +++(c) dpa - Bildfunk+++

von KLAUS KELLE

BERLIN – Das haben sich die Strategen im Konrad-Adenauer-Haus ganz anders vorgestellt. Die Spin-Doktoren, die darauf gesetzt haben, dass CDU und CSU im Winschatten der Pandemie einen lockeren Siegeszug durch die Landtagswahlen und die Bundestagswahl Ende September vor sich haben, sehen sich getäuscht. Die Gründe sind vielfältig: die über Monate ansprechende Performance der Regierenden hat sich in Luft aufgelöst. Besonders enttäuschend: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), dem viele Parteifreunde vor drei Monaten noch die Kanzlerschaft zutrauten, und der sich mit einem Mix aus Versagen in der Corona-Impfstrategie und persönlicher Chuzpe (Millionenvilla erwerben in der Zeit, in der eine Pleitenwelle und Massenarbeitslosigkeit auf Deutschland zurollt) völlig aus dem Rennen genommen hat. Und dann zwei wichtige Ministerpräsidenten, die in der Corona-Bekämpfung so wirkten, als gehe es ihnen nicht um das Wohl und die Gesundheit der Bevölkerung, sondern um das Wettrennen ins Kanzeramt.

Und eine Bundeskanzlerin, die nur noch moderiert und so planlos erscheint, wie nie zuvor in ihrer Amtszeit. Das frühere Nachrichtenmagazin „Spiegel“, in den vergangenen Jahren zur Hauspostille der Bundesregierung verkommen, schreibt plötzlich von einer „verdorbenen Kanzlerschaft“ Merkels. Die Frau aus der Uckermark ist angezählt. Und genau in diese Zeit finden  Hinterzimmergespräche von Unions-Granden – sprich Abgeordneten – statt, die beginnen, sich ernsthaft um ihre Mandate zu sorgen. 32,7% errang die Union gemeinsam bei der Bundestagswahl 2017. Das war das schlechteste Ergebnis einer Bundestagswahl seit 1949. Die ganz aktuelle Umfrage des RTL/N-tv-Trendbarometers weist 33% aus – wohlgemerkt, sechs Monate vor dem entscheidenden Urnengang. Das Erfurter INSA-Institut, zuletzt immer ganz eng am tatsächlichen Wahlergebnis, sieht CDU und CSU bundesweit zusammen nur noch bei 30% – ein Desaster droht, wenn die Wähler in Baden Württemberg und Rheinland-Pfalz am Sonntag zu den Wahlurnen strömen. FDP und AfD gewinnen bundesweit je einen Punkt hinzu. Der Linksblock stagniert.

Das Abschmieren der Union hängt natürlich auch mit den Raffkes unter ihren Abgeordneten zusammen, die zuletzt bei der Vermittlung von Maskenaufträgen kräftig in die eigenen Taschen gewirtschaftet haben. Nikolas Löbel (CDU) und Georg Nüßlein (CSU) ziehen sich zwar aus dem politischen Geschäft zurück, aber der Schaden, den sie ihren beiden Parteien bereitet haben, ist immens und wird lange nachwirken. Und – so sagen Parlamentarier hinter vorgehaltener Hand – das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange. Da kommt noch was. Die Fraktionsführung um den glücklosen Ralph Brinkaus geht davon aus, dass es weitere Abgeordnete gibt, die sich in der Pandemie persönlich bereichert haben könnten. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt forderten die knapp 250 Unionsparlamentarier jetzt zu einer „Ehrenerklärung“ auf, dass sie keine finanziellen Vorteile im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Corona-Pandemie erzielt hätten – weder direkt noch über Gesellschaften.

Doch das Schärfste in der Unions-Tragödie kommt erst noch. Inzwischen liegen der Nerven zwischen den führenden Personen blank und zwar richtig kernig. Wer soll in dieser Situation eigentlich Spitzenkandidat der Unionsparteien für die Bundestagswahl werden? Jens Spahn ist schwer angeschlagen – durch eigene strategische Fehler und ein unterirdisches Corona-Management. Die Kanzlerin mag den forschen Münsterländer nicht, das ist kein Geheimnis, und dennoch versuchte sie ihn mit dem Kabinettsposten einzubinden, der scheinbar zu groß für ihn ist. Angela Merkel ist allerdings auch sechs Monate vor Ablauf ihrer Amtszeit alles andere als eine „lame duck“. Sie versucht hinter den Kulissen die Ambitionen von Armin Laschet zu sabotieren, wünscht sich wohl den Franken Söder als ihren Nachfolger. Friedrich Merz hat sie bisher erfolgreich verhindert und hat definitiv vor, dass auch weiterhin zu tun. Laschets Leute wiederum versuchen, Söder aus dem Rennen zu treiben,  der in den Beliebtheitswerten bundesweit immer noch deutlich vor dem Aaachener Jung‘ rangiert. Doch auch Söder hat mit seinem forschen Vorpreschen in der Corona-Krise in Bayern deutlich an Sympatien eingebüßt.

Gewinnen mit dem Corona-Schwung? Das ist für die Union kaum noch erreichbar. Schlechte Umfragen, Söder gegen Laschet und umgekehrt, Merkel gegen Laschet, Spahn und Merz und dann zwei Wahlschlappen mit Ansage. Heute erzählte mir einer der bekannten Demoskopen in Deutschland, dass die CDU auch in Hessen mit ihrem Anbiederungkurs an die Grünen und dem selten…suboptimalen Generalsekretär Manfred Pentz, eine derbe Klatsche erwarten darf. Pentz hatte beim Rennen um den Bundesvorsitz die Unterstützer des unterlegenen Kandidaten als „Merz-Dschihadisten“ geschmäht und den Sauerländer als den „größten Spalter der Partei“ bezeichnet. Wer solche Parteifreunde hat, braucht keine Feinde mehr.

Wenn das also alles so ist, wenn die Hoffnungsträger verbrannt oder vom Kanzleramt geblockt werden oder sinkende Sympathiewerte verzeichnen und am Sonntag die CDU derbe verliert, ja, wer bleibt denn dann noch, um das leckgeschlagene Dickschiff wieder auf Kurs zu bringen? Wer ist beim Wahlvolk immer noch beunruhigend populär und hat schon so manches Alphatier weggebissen? Ich konnte es mir auch vor ein paar Wochen nicht vorstellen, ja, ich will es mir nicht vorstellen. Aber heute Morgen um 01.06 Uhr und absolut nüchtern kann ich nicht ausschließen, dass man Frau Merkel dann wieder ins Rennen zurückholt. „Aber nur für eine halbe Legislaturperiode“, wie mir am Nachmittag ein Bundestagsabgeordneter beschwichtigend am Telefon zuraunte. Da musste ich kurz lachen…

 

Bildquelle:

  • CDU-Bundesparteitag: cdu

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Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.