Die Sieger organisieren sich: Taliban übernehmen wichtigste Behörden in Afghanistan

Taliban-Kämpfer in Kabul. In einer Audiobotschaft, die offenbar von der Führung der militant-islamistischen Gruppe kam, wurden Kämpfer aufgefordert, Zurückhaltung zu üben. Foto: -/AP/dpa

KABUL – Die militant-islamistischen Taliban übernehmen in Afghanistan nach und nach immer mehr Behörden und Ministerien.

Regierungsangestellte seien ihrem Aufruf gefolgt, ihre Arbeit wieder aufzunehmen, sagte ein Beamter eines Ministeriums, der namentlich nicht genannt werden wollte.Es seien viele seiner Kollegen zur Arbeit gekommen, aber keine Frauen.

Die Islamisten hätten Listen der Angestellten und würden nur jenen Zutritt erlauben, die auf der Liste stünden. Lokale Medien veröffentlichten Fotos, auf denen zu sehen war, dass auch Verkehrspolizisten wieder zu ihrer Arbeit zurückkehrten. Bewohner der Stadt sagten, es würden wieder vermehrt Geschäfte geöffnet haben und Menschen auf der Straße sein.

Überrascht zeigten sich Bewohner der Stadt darüber, dass der populäre Fernsehsender ToloNews am Dienstag seine bekannte Moderatorin durch das Programm führen ließ, die auch einen Taliban-Vertreter interviewte. ToloNews schickte auch eine Reporterin durch Kabul, um live über die Situation in der Stadt zu berichten.

Ein Bewohner des Viertels Pul-e Sorch sagte, die Taliban würden über Lautsprecher-Autos die Menschen aufrufen, sie ohne Angst zu akzeptieren. Alles sei normal, sie alle seien Brüder und sie würden für Sicherheit in der Stadt sorgen.

Allerdings gab es in den vergangenen Tagen Berichte über Sicherheitszwischenfälle in der Stadt. Taliban-Kämpfer sollen sich Zutritt zu Wohnhäusern verschafft und Autos mitgenommen haben. Gleichzeitig sagten mehrere Bewohner Kabuls auch, dass einfache Kriminelle die Ankunft der Taliban ausnutzten und wohl vorgäben, Taliban zu sein.

Am Dienstag gab es in einer Audiobotschaft eine Warnung an Taliban-Kämpfer, unter keinen Umständen Privathäuser zu betreten oder Fahrzeuge mitzunehmen. Sollte dies ein Beamter oder eine Einzelperson tun, sei das ein «Verrat am System» und man ziehe sie zur Rechenschaft. Die von ToloNews veröffentlichte Sprachnachricht wurde dem Taliban-Vizechef Mullah Jakub zugeschrieben.

Bereits am Montag hatte der Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid auf Twitter erklärt, dass niemand die Häuser von ehemaligen Regierungsbeamten betreten und sie bedrohen oder ihre Autos mitnehmen dürfe. Vor allem Menschen, die für die Regierung oder Ausländer gearbeitet haben, sorgen sich, dass die Taliban zu ihnen nach Hause kommen und sich an ihnen rächen oder plündern könnten.

Chaos herrschte weiter rund um den Flughafen der Stadt. Die Start- und Landebahn konnte am Dienstag zwar wieder geöffnet werden, dennoch versuchten weiterhin Hunderte Menschen, auf das Gelände zu kommen. Die Taliban würden diese mit einer Peitsche schlagen und auch in die Luft schießen, um sie auseinanderzutreiben, berichtete ein Augenzeuge. Dennoch würden es die Menschen weiter versuchen. Von der anderen Seite der Flughaufenmauer sei Tränengas in die Menge gefeuert worden.

Am Montag war der Flugverkehr eingestellt worden, da sich Menschentrauben auf dem Flugfeld aufhielten. Viele Afghanen versuchen, nach der Ankunft der Taliban in Kabul das Land zu verlassen. US-Militärs versuchten, sie mit Warnschüssen zurückzudrängen. Einem Augenzeugen zufolge ist in der Nacht zu Dienstag eine Frau in der Nähe des militärischen Teils des Flughafens zu Tode getrampelt worden.

Die Nichtregierungsorganisation Emergency, die ein Krankenhaus im Zentrum Kabuls betreibt, teilte am Dienstag auf Twitter mit, acht schwer verwundete Patienten seien am Montag eingeliefert worden. 46 Leichtverletzte seien an andere Gesundheitseinrichtungen verwiesen worden. Neun Personen seien bereits bei ihrer Ankunft tot gewesen. Es gab keine Angaben, woher die Opfer kamen. Am Montag war es am Flughafen zu Zusammenstößen gekommen, als Hunderte oder vielleicht noch mehr Menschen versuchten, mit Flugzeugen das Land zu verlassen.

Die Taliban hatten in den vergangenen Wochen in einem Siegeszug das ganze Land übernommen. Das Tempo kam offensichtlich auch für sie überraschend. Sie besetzen nur langsam Behörden. Die Taliban erinnerten in den vergangenen Tagen mehrmals an eine von der Taliban-Führung bereits früher ausgesprochene Amnestie und riefen die Menschen dazu auf, zu ihren Arbeitsstellen zurückzukehren – auch Frauen.

Bildquelle:

  • Taliban-Kämpfer in Kabul: dpa

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