Die neue Buchstabiertafel von A bis Zett: Sprachreinigung und Umerziehung

von THOMAS PAULWITZ

BERLIN – Anton, Berta, Cäsar, Dora, Emil. Die klassische Buchstabiertafel, seit 1905 mit gelegentlich kleineren Änderungen verwendet, hat ein Problem: Sie ist zu deutsch, zu männlich und zu christlich. Außerdem ist sie durch den Nationalsozialismus belastet. Diesem Missstand will das „Deutsche Institut für Normung“ (DIN) abhelfen. Es hat eine neue Buchstabiertafel erarbeitet, die auf deutsche Städtenamen setzt. Der Entwurf der neuen DIN 5009 liegt jetzt vor.

Michael Blume (CDU) hat die Reform angestoßen. Der Religionswissenschaftler ist Baden-Württembergs Antisemitismusbeauftragter. Ihn störte, dass Anpassungen aus dem Jahre 1934 bis heute überlebt haben. Die nationalsozialistische Regierung ersetzte damals in der Buchstabiertafel die jüdisch klingenden Namen. Die Bundesrepublik behielt später in der DIN 5009 Dora statt David und Nordpol statt Nathan bei. Samuel und Zacharias wurden zwar wieder zur Norm, doch der Volksmund sagte weiterhin Siegfried und Zeppelin. Blume fragte beim DIN an, und es wurde tätig.

Kein „M wie Mohammed“

Das DIN setzte zunächst unter Mitarbeit von Blume die alten Namen wieder ein. Doch dann fielen dem Institut weitere Missstände auf. Eberhard Rüssing, Obmann des zuständigen Arbeitsausschusses, bemängelt, die Tafel sei „nicht mehr zeitgemäß“: „So enthält die aktuelle Tafel 16 männliche und nur sechs weibliche Vornamen, andere zeitgemäße Namen fehlen komplett. Das entspricht nicht der heutigen Lebensrealität.“ An einer Tafel mit „A wie Annalena“, „H wie Henry“, „N wie Naomy“ und „M wie Mohammed“ wollte man sich freilich nicht die Finger verbrennen.

Es sei nicht möglich, alle relevanten ethnischen und religiösen Gruppen geschlechtergerecht ausgewogen darzustellen. Also gab das DIN auf und versucht sich jetzt an einer salomonischen Entscheidung: Die entnazifizierte „postalische Buchstabiertafel“ soll lediglich „informativ“ und „symbolisch“ in der DIN 5009 beibehalten werden, „um ein Zeichen zu setzen und auf die Geschichte der Buchstabiertafel aufmerksam zu machen.“. Im übrigen soll jedoch künftig „normativ“ die neue „Deutsche Buchstabiertafel für Wirtschaft und Verwaltung“ gelten, der deutsche Städtenamen zugrunde liegen.

„Y wie Bundeswehr“?

Dabei orientiert sich die neue Norm weitgehend an den Autokennzeichen. So werden aus den (entnazifizierten) Anton, Bernhard, Cäsar, David und Emil dann Augsburg, Berlin, Cottbus, Düsseldorf und Essen. Das ist nicht nur geschlechtsneutral und damit unpersönlich, sondern auch ohne jeglichen Zeitgeist behaftet. Konfessionell neutral ist die neue Tafel freilich nicht: „M wie München“ erinnert an eine Stadt, deren Namensgebung auf den Ausdruck „bei den Mönchen“ zurückgeht. „A wie Augsburg“ bezieht sich des weiteren auf eine Stadt, die als „Augusta Vindelicum“ von Kaiser Augustus gegründet wurde, den die Römer nach seinem Tod als Gott verehrten.

Warum zudem der Selbstlaut „A“ mit dem Zwielaut (Diphthong) „Au“ (Augsburg) belegt wird, ist unverständlich. Ärgerlich ist, dass „Ä wie Ärger“ (entnazifiziert „Änderung“) nun als „Ä wie Umlaut-A“ bezeichnet werden soll, „Ö wie Ökonom“ als „Ö wie Umlaut-O“ und „Ü wie Übermut“ (entnazifiziert „Überfluss“) als „Ü wie Umlaut-U“. Hingegen bleibt es bei „Y wie Ypsilon“, denn das Autokennzeichen hätte hier „Y wie Bundeswehr“ ergeben.

„Absurde Sprachreinigung“

Da die neue Buchstabiertafel nur für Wirtschaft und Verwaltung verbindlich ist, ist zu erwarten, dass Rettungsdienste, Polizei oder Luftfahrt bei der alten Vornamen-Tafel bleiben werden. Somit entsteht ohne Not ein Nebeneinander konkurrierender Systeme. Der am 30. Juli vorgestellte Entwurf mit den Ortsnamen steht derzeit zur Diskussion. Wer will, kann seine Ideen und Kommentare an das Deutsche Institut für Normung schicken. Alle Kommentare werden im zuständigen Ausschuss geprüft. Die Einsprecher erhalten sogar die Möglichkeit, ihre Kommentare im Rahmen einer Einsprechersitzung persönlich gegenüber dem Ausschuss zu vertreten. Die endgültige Fassung der DIN 5009 ist für Mitte 2022 vorgesehen.

Die Soziologie-Professorin Ulrike Ackermann hält die Reform für eine absurde „Sprachreinigung“: „Die Menschen sollen umerzogen werden“, sagte sie laut BILD-Zeitung. Die krampfhafte Verschlimmbesserung spiegelt sich auch im neuen Namen der Norm 5009 wider. Er lautet: „Text- und Informationsverarbeitung für Büroanwendungen – Ansagen und Diktieren von Texten und Schriftzeichen“. Früher hieß sie schlicht und einfach: „Diktierregeln“. Oft erscheint es besser, Dinge, die sich seit über 100 Jahren bewährt haben, zu lassen, wie sie sind.

Bildquelle:

  • Buchstaben_Schreibmaschine: pixabay

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