von CHRISTIAN KOTT
KARLSRUHE/BERLIN – Mit einer kurzen Pressemitteilung erklärt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) auf seiner Homepage, dass sein Präsident Stephan Harbarth in Begleitung der Vizepräsidentin Doris König zum Abendessen am 30. Juni im Bundeskanzleramt eingeladen waren. Der Besuch – so heißt es da – setze „eine seit vielen Jahren bestehende Tradition fort“.
Schlimm genug, denn die Richter, die über die Verfassungsmäßigkeit der Entscheidungen der Bundesregierung zu befinden haben, haben unabhängig davon, ob gerade ein konkretes Verfahren anhängig ist oder nicht am (übrigens aus Steuermitteln) gedeckten Tisch einer Prozesspartei absolut nichts zu suchen.
Aber die Sache geht viel tiefer, und die Kritik in Medien und Öffentlichkeit an dem prunkvollen Diner ist zwar berechtigt, verstellt aber den Blick auf das Wesentliche: Die Kanzlerin braucht kein Abendessen mehr, um das letzte Korrektiv ihrer Willkür auszuschalten. Das ist längst geschehen.
Rückblende: Im November 2018 wurde der heute amtierende Präsident des BVerfG Stephan Harbarth vom Bundestag zum Verfassungsrichter gewählt. Was ihn dazu qualifizierte wird wohl für immer ein Geheimnis der dies unterstützenden Abgeordneten bleiben, denn Harbarth hatte zwar als Volljurist die sogenannte „Befähigung zum Richteramt“, arbeitete aber keinen einzigen Tag seines Berufslebens als Richter. Er war Rechtsanwalt bei verschiedenen Großkanzleien und seit 2009 CDU-Bundestagsabgeordneter gewesen. Ohne sich um die Kritik an dieser eigenartigen Vorgehensweise zu scheren wurde er vom ersten Tag an gleich Vizepräsident und Vorsitzender des II. Senats.
Nicht einmal zwei Jahre danach, nämlich im Sommer 2020 wurde er zum Präsidenten des BVerfG gewählt. Wieder von Berufspolitikern, nämlich vom Bundesrat.
In Deutschland gibt es etwa 22.000 Berufsrichter, aber kein mit Berufserfahrung versehener Jurist sollte nach dem Willen der Politik in diese einflussreiche Stellung kommen, die immerhin das fünfthöchste Staatsamt Deutschland darstellt. Stattdessen musste es ein Politiker sein, denn echte Richter können durchaus anstrengend sein. Der richterliche Berufsethos und die Richterausbildung bringen Menschen hervor, die ohne Ansehen der Person nach Recht und Gesetz Entscheidungen treffen. Bei aller manchmal berechtigten Kritik an Urteilen: In aller Regel ist das auch so.
Schon oft hatte das BVerfG der Regierung die Leviten gelesen, allzu selbstherrliche und rechtswidrige Machtphantasien gestoppt und damit nicht selten die freiheitlich-demokratische Grundordnung gegen diejenigen verteidigt, die eigentlich auf ihrer Grundlage Macht ausüben. Gegen Politiker nämlich. Das ist aus Sicht der Regierung, für die die freiheitlichen Aspekte des Grundgesetzes heute eher störend wirken, ein ärgerlicher Vorgang.
Die Lösung ist „typisch Merkel“. Medien und Jurisprudenz haben verschlafen, laut zu protestieren, als Bundesrat und Bundestag ganz schleichend zuerst 2018, dann 2020 das BVerfG von einem politischen Gericht in ein Gericht für die Politik umwandelten: „Wir machen einen von uns zum Chef unseres Gegners, dann ist endlich Ruhe!“.
Nicht erst durch irgendwelche Abendessen im Bundeskanzleramt, die es auch früher schon gegeben hat, sondern bereits seit 2018 durch die Besetzung reiner Politiker in ein Gericht hat für die Bundesregierung das BVerfG seinen Schrecken verloren.
Glauben Sie nicht? Glauben Sie denn, dass sich gestandene Verfassungsgerichtspräsidenten wie Herzog, Papier oder Voßkuhle von einem Luxusdinner in ihrer Rechtsprechung auch nur um ein einziges Grad hätten verbiegen lassen? Und dann vergleichen Sie Ihre Antwort mit dem Mann, der noch 2013 stolz gemeinsam mit der Kanzlerin auf Wahlplakaten posierte hier ).
Glauben Sie noch nicht? Dann erklären Sie doch mal, warum das BVerfG im März 2021 zunächst den Bundespräsidenten anwies, das Gesetz zum umstrittenen „Corona-Aufbaufonds“ der EU (der mit Corona übrigens nicht das Geringste zu tun hat) nicht zu unterzeichnen und sich diese Anweisung nach kurzem Nachdenken (und vermutlich einigen klärenden Telefongesprächen) ohne jeden nach außen erkennbaren Anlass anders überlegt hat, damit der Überweisungsträger über eine dreistellige Milliardensumme Ihres Steuergeldes auf Nimmerwiedersehen unterschrieben werden kann.
Glauben Sie immer noch nicht? Dann wüsste ich gerne, warum beinahe alle beim BVerfG anhängigen Verfahren, die für den Wähler zur Bundestagswahl vielleicht von Bedeutung sein könnten, erst nach der Wahl entschieden werden, obwohl sie bereits seit einer gefühlten Ewigkeit dort auf dem Tisch liegen.
Seit mindestens drei Jahren schlafen wir alle und schauen teilnahmslos dabei zu, wie die allerletzte Festung des Grundgesetzes geschliffen wird. Goethe hatte in Faust II dazu bereits etwas zu sagen: „Das ist der Weisheit letzter Schluss / Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben / Der täglich sie erobern muss“.
Bildquelle:
- Bundesverfassungsgericht: dpa