von ULI HESSE
London – Es ist neun Uhr morgens, und die drei Weltstars Jackie (66), Marlon (60) und Tito (63) – Jermaine ist nicht dabei – sitzen überpünktlich auf dem Hotelsofa und warten auf Fragen. Morgen werden sie in London auftreten – vor vollem Haus natürlich. Disziplin sei sehr wichtig, darin stimmen die Brüder überein.
Nach einem Konzert gehe es ins Bett, vielleicht noch ein Buch, etwas Fernsehen oder ein Anruf bei der Familie. «Das stammt noch aus unseren Jackson Five-Tagen», erklärt Marlon. «Als Kinder hatten wir Ausgangssperre, wir mussten ins Bett, selbst wenn wir unterwegs waren», und Jackie fällt ihm ins Wort: «Wir feiern auf der Bühne!»
Gerade ist der Bildband «The Jacksons» erschienen, für den sie alte Familienfotos aus Speicher und Keller gekramt haben. Er zeichnet ein übermäßig harmonisches Bild einer der berühmtesten Musiker-Familien der Welt. Die neun Geschwister wachsen in den 50er Jahren in einem kleinen Dreizimmer-Holzhaus in Gary, Indiana, auf. Die Eltern bewohnen ein Zimmer, die sechs Jungs teilen sich das zweite, und die drei Töchter schlafen auf Klappsofas im Wohnzimmer. «Die Peitsche schwang mein Vater», gesteht Jackie im Buch. «Meine Mutter war lässiger.»
Tito spielt heimlich auf der Gitarre seines Vaters, bis eine Saite reißt. Im Buch erinnerte er sich an dessen Reaktion: «Wer hat meine Gitarre gespielt?», war das Erste, was er sagte. Ich begann zu weinen, und er verabreichte mir eine ordentliche Tracht Prügel. Dann sagte er: «Zeig mir, was du kannst.» So beginnt der legendäre Erfolg der Brüder.
1969 schließen sie einen Plattenvertrag mit dem Soul-Label Motown, das Stars wie The Supremes, Stevie Wonder und The Temptations unter Vertrag hat. Mit mehr als 100 Millionen verkauften Platten werden die Jacksons eine der erfolgreichsten Bands der Popgeschichte. Zu Beginn nimmt Motown-Star Diana Ross die Jugendlichen unter die Fittiche. «Wir waren ihre Protegés», wirft Tito mit tiefer Stimme ein. «In einem Tonstudio sein, Songs schreiben, vor der Presse stehen», fügt Jackie hinzu. Sie habe ihnen das Geschäft beigebracht.
Schon die erste Single für Motown, «I Want You Back» (1969) wird ein Hit – der erste von vielen Ohrwürmern wie «Never Can Say Goodbye» (1970) und «Can You Feel It» (1980). Im Bildband «The Jacksons» erinnert sich Jackie, wie sich ihr Alltag durch den Erfolg veränderte. «Wir gingen immer noch zur Schule, und viele Kids in der Klasse wussten nicht, wer ich war. Mädchen kamen an die Tür des Klassenzimmers und kreischten einfach los.»
Sie treten vor der englischen Königin auf, Bob Marley spielt bei ihrem Konzert in Jamaika als Vorband. Ihre Fans sind alt und jung, schwarz und weiß – damals sehr ungewöhnlich. Doch wenn sie touren, müssen sie immer noch mit Vorurteilen kämpfen. In einem Interview mit der «Times» erinnerte sich Tito an ihre ersten Auftritte in den Südstaaten: «Unser Zimmer war immer hinten raus, nicht nur einmal oder zweimal – jedes Mal.» «Mit Blick auf den Müll», ergänzte Marlon.
1975 lassen sie die Motown-Jahre hinter sich, wechseln zum Label Epic Records, das ihnen mehr Tantiemen bietet. «Es war ein großer Schritt, Motown zu verlassen», gesteht Marlon im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur. «Aber nachdem wir soviel von Motown gelernt hatten, war es an der Zeit, etwas anderes zu machen, unsere eigene Musik zu schaffen und zu zeigen, was wir können.»
Michael Jackson verfolgt ab 1971 seine Solokarriere mit Hits wie «Thriller» und überholt seine Geschwister bald an Berühmtheit wie an Skandalen. Doch Rivalitäten, gar Konkurrenzkampf zwischen den Geschwistern? Gab es nicht, behaupten die Jackson-Brüder. Marlon erklärt: «Wir alle teilen den gleichen Nachnamen. Wer auch immer einen Hit hat, der Name Jackson bleibt im Rampenlicht.» Tito ergänzt: «Cornflakes machen sich auch nicht wegen Cheerios verrückt. Sie gehören beide zur Kellogg’s-Marke.»
«The Jacksons» zeigt das Aufwachsen der fünf Brüder in einer heilen Familienwelt mit Afro-Frisuren, knallbunten Fransen-Hemden, und vielen Posen für die Fotografen, bis heute. Michael Jackson sticht mit seinem Moonwalk heraus – er tanzt ihn zum ersten Mal bei einem Auftritt zum 25. Geburtstag ihrer früheren Plattenfirma Motown.
Marlon erinnert sich: «Mein Neffe war damals 11; er machte die Bewegungen bei mir zu Hause und Michael sagte – Was ist das? Ich nenne es Moonwalk.» Andere Stars zeigten ähnliche Tanzschritte schon zuvor, aber Marlon, der Choreograph des Familienbetriebs, stellt klar: «Jeder kann die Bewegungen machen, aber wir arrangierten sie an der richtigen Stelle, und als es dann passierte – es war wie eine Explosion!»
Michael stirbt 2009 an einem Herzversagen nach einer Überdosis an Betäubungsmitteln. Die Geschwister erinnern sich an ihn als Bruder, nicht als skandalumwitterten «King of Pop». Jackie meint nüchtern: «Auf der Bühne würden wir in jedem Moment wissen, wo er gerade ist, wenn er heute bei uns sein würde.» Marlon sagt leise: «Wir fühlen seine Anwesenheit.»
Trotz eines halben Jahrhunderts auf der Bühne, vieler Höhen und Tiefen haben die Jacksons immer noch Träume. Tito, der sich während des Interviews meist zurückhält, wünscht sich mit seiner tiefen Stimme «die größte Platte der Welt». Jackie meint: «So lange Mick Jagger das macht, will ich auch weitermachen» und Marlon stimmt zu: «Es ist ein toller Job, er gibt dir Energie, Leben und gute Laune.» «Harte Arbeit», sagt Jackie, «aber sobald man auf die Bühne kommt, ist es unglaublich.»
Bildquelle:
- Jacksons: dpa