Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik ist ein Elend: „Im Dreck liegen immer die anderen“

POTSDAM – Der Historiker Sönke Neitzel hat ein vernichtendes Urteil über die deutsche Außenpolitik gefällt. In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“, das überschrieben ist mit der Zeile „Berlin moralisiert gern“, behauptet er, dass Deutschland durch sein zögerliches Verhalten in Krisen die Situaion häufig verschlimmert habe.

Deutschland sei nicht schuld am Syrienkrieg und der Flüchtlingskrise, konstatiert er und kommt zu dem Schluss, unser Land trage dennoch Mitverantwortung für die humanitäre Katastrophe. Als Beispiel nannte er die UN-Beobachtermission, die im April 2021 auf Beschluss des Sicherheitsrates 300 Soldaten aus verschiedenen Ländern entsendet hatte. Deutschland habe seinerzeit zugesagt, zehn Bundeswehrsoldaten zu entsenden. Tatsächlich habe man dann einen (!) Stabsoffizier (!) geschickt.

Das gleiche Muster, sich „moralisch zu empören und dann wegzudeucken, habe sich auch im Jugoslawienkrieg gezeigt. Bis zum Massaker von Srebrenica hatte der Krieg bereits mehr als 100.000 Tote gefordert – mitten in Europa. Und die Europäer waren total unfähig, etwas dagegen zu tun. Erst als die USA die Führung übernahmen, schlossen sich die europäischen Nato-Ländern teils unwillig an.

Der Einsatz militärischer Gewalt sei natürlich keine Standardlösung, sagt Neitzel, aber: „Berlin moralisiert gern von der Außenlinie.“ Man mache im Bündnis „irgendwie mit“, beschränke sich aber auf das absolute Minimum. So überlasse man Russland das Feld, für das Menschenrechte „keine Rolle spielen“.

Als Assad 2018 in Syrien zum Wiederholten Male Giftgas gegen die eigene Bevölkerung einsetzte, schien die Bundeskanzlerin kurze Zeit geneigt, militärisch einzugreifen. Deutschland schickte eine Korvette der Marine mit vier schweren Flugkörpern an Bord vor die Küste des Libanon. Neitzel weiter:

„Die Marine was sich nicht sicher, wo diese Raketen wirklich landen würden. Man hatte sie noch nie so richtig ausprobiert. Die Luftwaffe hätte wiederum den Marschflugkörper „Taurus“ einsetzen können, aber der ist mit seinen 1,4 Tonnen so wuchtig, dass die Kanzlerin lieber verzichtete. Mal abgesehen davon, dass die Eurofighter in ihrer Rolle als Jagdbomber noch nicht einsatzbereit waren.“

Und so stellte die Kanzlerin damals klar:

„….Deutschland wird sich an eventuellen—militärischen Aktionen nicht beteiligen.“
Sowas kommt an im Volk.

Bei Einsätzen in weiter Ferne funktioniere „der vernetzte Ansatz“ wir im Irak und in Afghanistan durchaus, aber vor der eigenen Haustür eben nicht. Das liege auch an Bundesregierungen, bei denen oftmals mehrere sehr unterschiedliche Partner unter einen Hut gebracht werden müssten. Poltiker orientierten sich an aktuellen Schlagzeilen aber nicht daran, welche Gefahr in den kommenden zwei, drei Jahren entstehen könnte. Das gelte zum Beispiel auch für das Aufkommen des sogenannten „Islamischen Staates“ (IS), einer islamistischen Terrororganisation, die auch immer wieder Ziele in Europa angegriffen hat mit vielen Toten wie etwa in Paris. „Wir“ hätten den IS besiegt, hatte die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) nach dem Kriegseinsatz gesagt.

In Wahrheit habe Deutschland 100 bis 150 Ausbilder in den Nordirak geschickt. Zum Vergleich: Italien schickte 1000 Soldaten mit Transport- und Kampfhubschraubern, außerdem Spezialkräfte. Neitzel hat für sein aktuelles Buch („Blutige Enthaltung“, Herder) u. a. mit Soldaten der US-Marines gesprochen und wollte wissen, wie die ihre deutschen Verbündeten sehen. Neitzel: „Positiv. Keiner habe im Feldlager so gute Würstchen gegrillt wie die Deutschen.“ Nur: „Im Dreck lagen immer die anderen.“

Bildquelle:

  • Bundeswehr_Kapelle: pixabay

Unterstützen Sie unsere Arbeit mit einer Spende

Jetzt spenden (per PayPal)

Jetzt abonnieren

Über den Autor

Klaus Kelle
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.