von KLAUS KELLE
RIESA – Kurz vor dem Parteitag der AfD, der heute im thüringischen Riesa beginnt, ist noch immer offen, welchen Weg die Partei einschlagen wird, die sich sebst den Namen Alternative gegeben hat. Denn ob die AfD eine politische Alternative zu dem tradierten in Teilen verkrusteten etablierten „Altparteien“ ist, das lässt sich jetzt noch keineswegs beantworten.
Als Partei angetreten, die der verhängnisvollen Euro-Rettungspolitik von Frau Merkel etwas entgegensetzen wollte, war ihr Job eigentlich erledigt, als unser Land – vorerst jedenfalls – halbwegs durch die Staatsschuldenkrise durchgekommen war. Die AfD stürzte ab in Umfragen bis auf 3,5 Prozent ab, und das Totenglöcklein läutete im Sturm. Und dann war es wieder Frau Merkel, die mit ihrer verantwortungslosen Flüchtlingsspolitik der Partei eine kräftige Vitamspritze verpasste. Und jetzt sind sie nunmal da.
Wer ist diese AfD heute im Jahr 2022, der die vollständige Überwachung durch den Verfassungsschutz droht? Das Schicksal der Republikaner in den 90er Jahren ist da gut vergleichbar. Wer etwas zu verlieren hat, eine Pension zum Beispiel als Staatsdiener oder ein eigenes Unternehmen, dem die Kunden Verträge kündigen, weil ihnen die politische Richtung des Inhabers nicht passt, wird sich überlegen, ob er oder sie an Bord bleibt.
Die anderen, kernige Typen aus der Gegenwelt, die zu Parteitagen in Jogginghosen und mit weißen Latschen erscheinen, denen ist Thomas Haldewang sowieso egal.
In Fragen der Migrationspolitik ist sich die AfD einig. Beim Ukraine-Krieg ist das Erscheinungsbild der Partei ein einziges Desaster. Ost gegen West, Höcke gegen Cotar, Transatlantiker gegen Putin-Fans – keiner weiß, woran die Wähler sind, wenn sie AfD ankreuzen.
Am Wochenende ist Hochamt, Bundesparteitag mit Neuwahlen. Wird sich das Duo Chrupalla/Weidel durchsetzen, das auch die Bundestagsfraktion führt? Ist es überhaupt gut, wenn die Spitze von Partei und Fraktion deckungsgleich besetzt ist? Wagt sich Björn Höcke endlich doch mal aus der Deckung, um der Gefahr willen, als graue Eminenz mit einem miesen Ergebnis entzaubert zu werden?
Die Delegierten haben am Wochenende die Wahl: Ganz nach rechts, weiter so mit Tino Chrupalla oder ein Neuaufbruch mit frischen Köpfen, ein Alternativangebot in der Alternative.
Das sind die Alternativen am Wochenende
Absprung nach Rechtsaußen?
Für diesen Kurs steht der Thüringer Landeschef Björn Höcke. Er hat zwar noch nicht klar erklärt anzutreten, will eine Kandidatur zum Parteichef aber auch nicht ausschließen. Ein Spielchen, das man von ihm bereits von früheren Bundesparteitagen kennt. Da hatte er allerdings dann letztlich stets auf einen Kandidatur verzichtet. Höcke wird nur antreten, wenn er 100 Prozent sicher sein kann, zu gewinnen. Mal etwas riskieren? Bei dem Mann sehr unwahrscheinlich.
Aber denken wir es kurz durch. Eine Wahl Höckes zum Bundessprecher der AfD hätte massive Folgen: Den Verfassungsschutz würde die Partei dann sicher nicht mehr los, dafür aber viele Mitglieder, die seinem Weg nach ganz rechtsaußen wohl nicht mitgehen würden. Für Höckes ehemaliges Netzwerk, den inzwischen aufgelösten „Flügel“, wäre das vermutlich kein Problem. Vielmehr könnte man sich so quasi über Nacht der verhassten liberalen und bürgerlich-konservativen Mitglieder entledigen und die Partei allein kontrollieren. Wie viel Rückhalt Höcke bei den Parteitagsdelegierten hat, ist von außen schwer einzuschätzen. Von innen wahrscheinlich auch.
Weiter so mit den bekannten Gesichtern?
Tino Chrupalla ist noch die Nummer 1, steht allein an der Spitze der Partei, seit Jörg Meuthen hingeschmissen hat. Bis vor ein paar Wochen galt Chrupalla parteiintern als gesetzter Kandidat für die Parteispitze, an dem kein Weg vorbeiführt. Doch so sicher ist das gar nicht mehr seit einer nicht abreissenden Kette von Wahlniederlagen. Schleswig-Holstein, NRW, zuletzt gar die Landratswahlen in Sachsen, das man bei der AfD als Stammland ansieht. Dazu kommt, dass immer augenscheinlicher wird, dass Chrupalla zu wenig Durchsetzungsvermögen, zu wenig Themenkompetenz, und zunehmend auch zu wenig Rückhalt an der Basis zu haben scheint.
Chrupalla fremdelt vor allem mit dem Westen, hat wiederholt versucht, den Funktionären dort die Schuld an den schlechten Wahlergebnissen zuzuschieben. Doch inzwischen bröckelt auch der Wählerstamm im Osten und untergräbt damit seine fragile Argumentation.
Wollen die Delegierten in Riesa überhaupt an der Doppelspitze festhalten? Oder setzt sich Björn Höcke mit seiner Idee des Einzelvorsitzenden durch? Und es ist auch keineswegs ausgemacht, ob Weidel zusammen mit Chrupalla eine Doppelspitze auch bei der Partei bilden wollen, ist aus AfD-Kreisen zu hören.
Aber natürlich ist trotz wachsender Kritik Chrupalla mit oder ohne Weidel der Favorit für den Parteivorsitz. In der Krise scheinen auch in der AfD viele die Veränderung zu scheuen und am Vertrauten festhalten zu wollen.
Neustart mit frischen Köpfen?
Für eine andere AfD kämpft Norbert Kleinwächter. Dazu hat der Brandenburger Bundestagsabgeordnete das in Vergessenheit geratene Grundsatzprogramm rausgekramt, setzt auf mehr Kommunikation innen und außen und hat einen neuen Stil angekündigt. Er will, dass die (rechten) Schreihälse in der Partei leiser werden und sich die Partei mit Inhalten, und stärker mit Realpolitik beschäftigt.
Auf diesem Parteitag ist Kleinwächter, bekennender Katholik, nur ein Außenseiter. Aber was war in dieser Partei schon alles möglich, wenn Krise ist?
Und Kleinwächter ist auch nicht alleine, er ist der Kandidat des gemäßigten Flügels, den es aber organisiert gar nicht gibt. Und genau das war eines der größten Probleme der vergangenen Jahre. Er findet Unterstützung beim ehemaligen Bundeswehrgeneral Wundrak, den amtierenden Bundesvorstandsmitgliedern Cotar und Paul, dem ehemaligen Parlamentarischen Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Jürgen Braun, oder auch dem Vorsitzender Juden in der AfD, Artur Abramovych.
Und dann ist da noch, sozusagen der Jocker, der Europaabgeordnete Nicolaus Fest, der ebenfalls mit dem Anspruch, die Partei zu erneuern, antreten wird.
Steht also die AfD vor einem richtungsweisenden Parteitag?
Beobachter gehen davon aus, dass der Parteitag in Riesa das Potential hat, mit einer Richtungsentscheidung den jahrelangen Streit der verschiedenen Lager in der AfD zu beenden. Ob das wirklich gelingt, und wenn ja, in welche Richtung ist von außen betrachtet vollkommen offen. Alles scheint möglich. Entscheiden werden am Ende die Delegierten, die sich keinem Lager in der Partei zuordnen wollen und nach unterschiedlichen Einschätzungen 30 bis 40 Prozent der Stimmberechtigten ausmachen.
Bildquelle:
- AfD-Fähnchen: dpa