von STELLA VENOHR & BETTINA GRACHTRUP
BERLIN- Mit Festen haben Kernkraftgegner am Samstag das Ende der letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland eingeläutet. In Berlin kamen Umweltschützer am Brandenburger Tor zusammen, um die bis Mitternacht geplante Abschaltung der Meiler zu feiern. Dort versammelten sich aber auch Befürworter der Atomkraft.
Politisch bleibt die Entscheidung, dass Deutschland sich komplett von der Atomkraft verabschiedet, umstritten. Die mitregierende FDP forderte, die drei Meiler nicht abzubauen, sondern als Reserve zu behalten.
Am Samstagabend sollen die Atomkraftwerke Isar 2 in Bayern, Emsland in Niedersachsen und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg vom Netz gehen. Eigentlich hätten die AKW schon Ende 2022 abgeschaltet werden sollen. Das hatte die frühere Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP als Reaktion auf die Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima beschlossen. Wegen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der dadurch ausgelösten Energiekrise entschied die Ampel-Koalition jedoch, die drei Atomkraftwerke über den Winter weiterlaufen zu lassen und erst Mitte April auszuschalten.
Entscheidung zum Atomausstieg ist umstritten
Damit endet nach rund sechs Jahrzehnten die Ära der Nutzung der Atomenergie in Deutschland. Auch wenn die Entscheidung seit langem politisch besiegelt ist, schwelt die Debatte über das Für und Wider der Atomkraft weiter. Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) sagte, der Atomausstieg mache Deutschland sicherer. «Die Risiken der Atomkraft sind im Falle eines Unfalles letztlich unbeherrschbar.»
Grünen-Chefin Ricarda Lang twitterte, der Atomausstieg bedeute den «endgültigen Einstieg ins Zeitalter der erneuerbaren Energien.» Die SPD-Bundestagsfraktion schrieb ebenfalls auf Twitter: «Atomkraft? Und Tschüss».
Hingegen forderte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, diese Technologie nicht völlig aufzugeben. «Die Kernenergie muss auch nach dem Ausstieg eine Zukunft in Deutschland haben», sagte er in Berlin. «Dazu gehört, dass wir die Forschung auf dem Gebiet der Kernfusion ausweiten und die Chancen neuer und sicherer Technologien der Kernspaltung nutzen.»
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte am Freitagabend im Interview der ARD-«Tagesthemen», er glaube an eine Neuauflage der Kernenergie. «Wir spüren diese große Energiekrise, wir brauchen jedes Fitzelchen Energie.» Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) forderte mehr Forschung an neuen Technologien. «Der Ukraine-Krieg und die Energiekrise zeigen uns, dass wir uns breit aufstellen müssen. Wir müssen besonders angesichts des Atomausstiegs technologieoffen Forschung fördern. Nicht nur aussteigen, sondern auch mal einsteigen», sagte er der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung».
Demonstrationen für und gegen Atomkraft
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace feierte den Ausstieg aus der Atomenergie in Berlin. Am Brandenburger Tor zeigte sie ein rotes Männchen, das mit einem «Atomkraft? Nein Danke»-Schild und einem Schwert auf einem nachgebauten Dinosaurier stand. Auf dem Bauch des Dinos stand «Deutsche Atomkraft» und «Besiegt am 15. April 2023!».
In Berlin protestierten am Samstag aber auch einige Menschen gegen die Abschaltung der Kernkraftwerke. Der Verein Nuklearia hatte in einem Aufruf angekündigt, ein positives Zeichen für Atomkraft setzen zu wollen: «Wir sehen die Kernkraft als besten Weg, unseren Wohlstand zu erhalten und gleichzeitig die Natur und das Klima zu schützen.»
Kurz vor der Abschaltung des Kernkraftwerks Emsland protestierten auch Atomkraftgegner in Lingen für ein endgültiges Ende der Atomkraft in Deutschland. Am Samstagmittag versammelten sie sich vor der Brennelementefabrik ANF, die zum französischen Framatome-Konzern gehört. Ein Sprecher des Bündnis AgiEL – AtomkraftgegnerInnen im Emsland sprach von rund 300 Demonstranten und Demonstrantinnen, die sich versammelt hatten. Eine Polizeisprecherin ging nach einer ersten, vorläufigen Schätzung von rund 100 Teilnehmern aus.
Der Betreiber wies Forderungen nach Schließung des Werkes zurück. ANF verfüge über eine unbefristete Betriebsgenehmigung, fertige seit mehr als 45 Jahren Brennelemente auf einem hohen Sicherheitsniveau, halte jederzeit alle rechtlichen Vorgaben und Verfahren ein und sichere rund 400 hochqualifizierte Arbeitsplätze, erklärte das Unternehmen.
Emotionen am Atomkraftwerk Isar 2
Für die Mitarbeiter des Meilers Isar 2 ist das Abschalten nach Angaben des Vorsitzenden des Konzerns PreussenElektra, Guido Knott, ein emotionaler Moment: «Heute endet nach 50 Jahren die Stromproduktion aus Kernenergie bei PreussenElektra. Das geht uns allen sehr nahe, und das macht auch mich persönlich sehr betroffen.» Der Konzern hatte mitgeteilt, dass sämtliche Mitarbeiter feste Arbeitsverträge bis 2029 erhielten. Danach soll die Mitarbeiterzahl reduziert werden. Am Standort Essenbach arbeiten rund 450 Menschen.
Schrittweise Abschaltung bis Mitternacht
Die Abschaltung des letzten Atomkraftwerks wird kurz vor Mitternacht erwartet – welcher der drei Meiler der letzte sein wird, ist unklar. Das Atomkraftwerk Isar 2 soll dem Betreiber PreussenElektra zufolge voraussichtlich gegen 23.45 Uhr vom Netz gehen und somit keinen Strom mehr einspeisen. Etwa eine Viertelstunde später werde der Reaktor abgeschaltet, sagte Werksleiter Carsten Müller. «Wir erfüllen das Atomgesetz mit dem Trennen des Generators vom Netz vor Mitternacht.»
Das Kernkraftwerk Isar 2
Nach dem Abschalten wird der Reaktor «kaltfahren». Müller zufolge wird dabei die Temperatur in der Anlage innerhalb von etwa zwölf Stunden auf Umgebungstemperatur gesenkt. Etwa neun Stunden nach der Abschaltung werde über dem Kühlturm kein Dampf mehr zu sehen sein.
Bildquelle:
- Atomausstieg in Deutschland: dpa