von ANN-MARLEEN GRENGEL
DUISBURG – Puh, durchatmen. Fast vier Stunden „Deutschland sucht den Superstar“ sind geschafft. Entertainment war gestern, heute steht Langeweile auf dem Programm. Was ist nur aus diesem Erfolgsformat und Quotenbringer für RTL geworden, meiner einstigen Lieblingssendung? Ich bin mit DSDS aufgewachsen, mein Motiv hat sich allerdings irgendwann geändert. Leidenschaft? Gibt’s nicht mehr. Mittlerweile schalte ich nur noch aus Gewohnheit ein. So nach dem Motto: Ich schaue schon seit Ewigkeiten zu, jetzt kann ich doch nicht einfach aufhören. Doch, eigentlich schon.
Denn „Deutschland sucht den Superstar“ schafft sich selbst ab. 2012 gab es die letzte richtig gute Staffel, für mich war es die beste. Mein Herz brach, als Daniele Negroni sich im Finale knapp gegen Luca Hänni geschlagen geben musste. Ich habe damals jeden Samstag vor dem Fernseher gesessen, mitgefiebert und für meine(n) Favoriten angerufen. Bis 2012. Seitdem geht es stetig bergab. Jegliche Versuche, DSDS zu modernisieren und zu verändern, schlugen fehl. Die Mottoshows wurden abgeschafft, die Anzahl der Liveshows rapide gekürzt und vom einst so erfolgreichen Konzept blieb nicht mehr viel übrig. Ich habe mir schon damals die Frage gestellt: Warum eigentlich? Viele Fans waren unzufrieden mit den Änderungen, die Einschaltquoten sanken in jedem Jahr. Und dennoch. Ich bin der Sendung, im Gegensatz zum Großteil meiner Freunde und Bekannten, immer treu geblieben. Warum eigentlich?
Ich denke, in diesem Jahr ist es soweit, auch ich habe genug. Weil RTL es darauf anlegt, alles falsch zu machen. Auf den Wendler-Skandal samt Verpixelung und die teilweise unerklärliche Auswahl mancher Kandidaten folgte zuletzt der Knall: Dieter Bohlen steigt aus, sowohl bei „Deutschland sucht den Superstar“ als auch beim „Supertalent“. Eigentlich der perfekte Zeitpunkt, um zumindest DSDS einzustellen. Doch danach sieht’s aktuell (leider) nicht aus. Der Poptitan verabschiedet sich nach 18 Jahren nicht mit großem Applaus, sondern still und heimlich. Schon in den Liveshows war und ist er nicht mehr dabei, ihn vertritt Thomas Gottschalk. Als ich dessen Name in Verbindung mit DSDS gelesen habe, dachte ich, dass er den Platz von Moderator Oliver Geissen einnimmt. Das hätte ich verstanden. Stattdessen saß Gottschalk am gestrigen Abend in der Jury. Hat er Ahnung von Musik? Nein. Das betonte der 70-Jährige selbst mehrfach. Ja, Thomas Gottschalk ist Kult, auch wenn ich nicht sein größter Fan bin. Aber was um alles in der Welt macht gerade er in einer Musiksendung?
Samstagabend, 20:15 Uhr, RTL, Halbfinale. Erstmals in der DSDS-Geschichte gibt es nur zwei Liveshows. Fünf von neun Kandidaten müssen im Anschluss die Koffer packen, so viele wie nie zuvor. Die übrig gebliebenen Jurymitglieder Maite Kelly und Mike Singer werden von Moderator Oliver Geissen vorgestellt, betreten das beschauliche Studio in Duisburg und setzen sich auf ihren Jurystuhl. Dann kommt Thomas Gottschalk, steuert auf die Bühne zu und fängt an zu reden. „Titanen können stürzen, und das ist dem Dieter passiert“, schickt er zu Beginn Grüße an Dieter Bohlen. Weiter geht’s: „Natürlich halten Titanen zusammen, vor allem wenn es nur drei davon gibt.“ Neben Poptitan Bohlen meint Gottschalk sich selbst und Ex-Fußballprofi Oliver Kahn. Letztgenannter hätte in die DSDS-Jury ähnlich gut reingepasst wie Thomas Gottschalk. Nämlich gar nicht. Es ist der Anfang eines Abends, an dem der ehemalige „Wetten dass..?“-Moderator gefühlt den größten Redeanteil hat. Und erstmals bin ich mir nicht sicher, ob ich „Deutschland sucht den Superstar“ oder eine Talkshow schaue. Denn vor ihren Auftritten plaudern die Kandidaten mit dem Moderator und der Jury. So kann man die Sendung auch unnötig in die Länge ziehen.
Nach jedem Kandidaten, der sich vorstellte, spürte man, wie sehr Dieter Bohlen der Sendung fehlt. Auch wenn Dieter Bohlen in den vergangenen Jahren sanfter mit den Kandidaten ins Gericht ging als noch in so mancher Staffel zuvor, gab es von ihm stets ehrliches und auch mal hartes Feedback. Wenn ich die Show vom gestrigen Abend Revue passieren lasse, fällt mir kein kritisches Urteil ein. Jeder wurde gelobt, alle waren toll – die schiefen Töne waren im Studio scheinbar nicht zu hören. Maite Kelly erklärte jedem Kandidaten, dass sie sich noch an seinen Castingauftritt erinnern kann. „Ich weiß noch, als du auf dem Boot gesungen hast“… Mindestens genauso oft erklärte Oliver Geissen den Zuschauern, dass jeder Kandidat live singt, ganz ohne Playback – war das jemals anders? Thomas Gottschalk wiederholte immer wieder, dass er die Beurteilung des Gesangs lieber seinen Kollegen überlasse und stellte den Kandidaten stattdessen Fragen. Interessant, mein Fall war’s aber nicht. Auch mit seinen gewollt witzigen Sprüchen konnte der „Showtitan“ bei mir nicht punkten. Ich wünsche mir Dieter Bohlen zurück, dem habe ich zumindest alles abgekauft.
DSDS ohne den Poptitanen – das ergibt keinen Sinn. Wenn sogar die Identitätsfigur hinschmeißt, warum muss diese Sendung fortgesetzt werden? Zu viel Gequatsche, zu wenig Gesang. Und die Kommentare in den sozialen Medien bestätigen in der Nacht, dass ich mit dieser Meinung nicht allein dastehe. Immerhin konnten meine vier Favoriten das Finalticket lösen. Scheinbar sind die übrig gebliebenen Zuschauer die wahre Konstante im DSDS-Wahnsinn. Ach ja, in einer Hinsicht bleibt sich RTL treu: Die Häufigkeit der Werbeunterbrechungen ist auch nach 18 Jahren dieselbe. Well done!
Bildquelle:
- Deutschland sucht den Superstar: dpa