von MARTIN D. WIND
Der Wolf ist wieder da. Wunderbar. Ende 2016 sollen es in Deutschland rund 130 erwachsene Tiere und etwa 350 Jungtiere in rund 50 Rudeln gewesen sein. Und alles deutet darauf hin, dass der Wolf, der unter strengem Naturschutz steht, seine Population in Deutschland weiter ausbauen wird. Eine Erfolgsgeschichte, die 2001 auf einem Truppenübungsplatz in der Niederlausitz nahe der polnischen Grenze begann. Derzeit zieht sich die Verbreitung der etablierten Rudel von Görlitz bis Leipzig, von Cottbus bis vor die Tore Berlins, von Magdeburg bis über Wolfsburg bis Wittenberge, rund um Lüneburg bis vor die Tore Hamburgs und bis an die Küste nördlich von Bremerhaven. Doch auch bei Weiden in der Oberpfalz und südlich von Thüringen haben sich bereits Einzeltiere etabliert. Und im Alpenvorland sowie aus dem westlichen Niedersachsen, sowie aus Nordrhein-Westfalen und Rheinlandpfalz werden Wolfssichtungen gemeldet. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um einzelgängerische Jungtiere, die sich neuen Lebensraum erschließen.
2001 wurde die Meldung des ersten erfolgreichen Rudels auf deutschem Boden mit großer Euphorie in den Medien verbreitet. Selbst der „tageschau“ war dieses regionale Ereignis einen eigenen Filmbeitrag wert. Selbstverständlich gab es auch sofort Debatten darüber, ob denn der Wolf in Deutschlands Kulturlandschaft überhaupt eine Chance auf eine gedeihliche Wiederansiedlung habe. Fraglich war auch, wie tolerant die Bevölkerung mit diesem Großräuber künftig umgehen werde. Denn der Wolf ist kein harmloses Rehlein, das beim Anblick von Menschen in hohen Sprüngen ins Unterholz hüpft. Er er ist ein kluger und geschickter Räuber, der keine Scheu davor hat, im Rudel selbst Wisente oder Kühe zu erlegen. Schon zeigen sich die Bruchlinien einer allzu euphorischen Begrüßung der Rückkehr der Wölfe nach Deutschland.
Staat, Umweltministerien und Naturschutzverbände tun seither alles, um die Menschen von der Harmlosigkeit des scheuen Räubers zu überzeugen. Allüberall im Lande tingeln Wolfsbeauftragte über die Dörfer und durch die Städte, um den Menschen den Jäger Wolf näher zu bringen. Breit angelegt gibt es Informationsveranstaltungen, Medienberichterstattung und Broschüren, die uns darüber belehren, wie wir uns verhalten sollen, sollten wir in den seltenen Genuss einer Begegnung mit dem Wolf kommen. Und so lernen wir, dass der Wolf scheu sei und den Kontakt zum Menschen meide. Überhaupt müsse man keine Angst haben, denn der Mensch passe nicht ins Beuteschema des Wolfs. Wer diese Informationen zu bezweifeln wagt, wird als Naturschutzgegner, märchengläubiger Horrorphantast und übler Denunziant beschimpft.
Und die Informationen der Wolfsexperten sind grundsätzlich ja auch korrekt. Sie basieren aber auf Beobachtungen, die an Wölfen gemacht wurden, die in großen und wirtschaftlich kaum genutzten Naturräumen leben, in denen die Tiere eher selten mit dem Menschen konfrontiert sind. Falls sie doch den Menschen begegnen, dann haben sie gute Gründe, schleunigst das Weite zu suchen, denn dort werden sie bejagt. Hier in Deutschland stellt sich die Situation derzeit anders dar. Hier wachsen Wölfe in einer eng besiedelten Kulturlandschaft auf, denen der Mensch mit Vorsicht begegnet und ihnen ansonsten ihre Ruhe lässt. Weshalb also sollten Wölfe, die seit fünf Generationen keinerlei schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht haben, irgendwelche Scheu vor Menschen entwickeln? Es gibt inzwischen Videos, in denen zu sehen ist, wie Wölfe am hellichten Tage mitten in Deutschland durch Bauernhöfe traben, Dorfstraßen entlangschlendern, ja sogar auf den Versuch seiner Vertreibung von einer Schafherde eher belustigt und mit gelassenem Interesse als mit Fluchtverhalten reagieren.
Dieser Text soll und darf nicht falsch verstanden werden. Er ist kein Appell zur erneuten Ausrottung des Wolfes in Deutschland. Im Gegenteil. Er ist ein Appell an Verantwortungsträger, dringend den Umgang mit dem ersten wiederangesiedelten Großräuber zu überdenken. Denn sollten die Wölfe sich in der Nähe des Menschen in Deutschland weiterhin vollkommen sicher fühlen, so kann wohl niemand mit Sicherheit ausschließen, dass dieser Futteropportunist nicht doch mal „auf den Geschmack“ kommt. Wenn das passiert sein sollte, dann wird die fragile Toleranz unserer zivilisierten Mitmenschen gegenüber der Natur wahrscheinlich recht schnell zusammenbrechen. Dann ist es aus mit dem lustigen Dahintraben im Jogginganzug, mit dem Nordic-Walking in der Donnerstagsgruppe oder auch mit dem Sonntagsspaziergang durchs „Wäldchen“.
So muss dann wohl darüber nachgedacht werden, den Wolf menschlichem Druck auszusetzen. Er muss uns fürchten lernen. Denn lernen kann er. Er ist da als soziales und klug agierendes Rudeltier sehr begabt. Es würde den Wölfen gut tun, wenn ihnen die Menschen, die die Wiederansiedlung betreuen und befördern, ab und zu einige Gummigeschosse auf den Pelz brennen, den Wölfe mit Lärm und aggressivem Auftreten Mores lehren. Und der Wolf muss lernen, dass das Beutemachen unter Nutztieren für ihn eine schmerzhafte und gefährliche Sache werden kann, sei es, weil er sich an Elektrozäunen die Nase verbrennt oder aber ebenfalls von Hirten mit Gummigeschossen empfangen und von dessen Herdenschutzhunden gehetzt wird. Ja, selbst die Bejagung der Wölfe wird durchaus eine Option sein müssen. Nicht überall in Deutschland sind Landschaft und Besiedlung so gestaltet, dass der große Räuber einen gesicherten Rückzugsort finden könnte. Dennoch taucht er inzwischen selbst in Räumen auf, in denen eine „artgerechte“ Wiederansiedlung nicht zu bewerkstelligen wäre.
Es ist höchste Zeit, dass wir von unserer euphorischen Betrachtung der Natur herunterkommen und uns der Realität stellen. Die lautet, der Wolf ist da, er kann da bleiben, aber er ist keineswegs ein harmloses Tier. Und es ist auch keineswegs so, dass es keine Wolfsangriffe auf Menschen gegeben habe. Es gibt sie weltweit und sie sind sogar wissenschaftlich dokumentiert. In Rumänien leben derzeit zwischen 4′ und 5.000 Wölfe in freier Wildbahn. Rumänien hat große, dünnbesiedelte Gebirgs- und Waldgebiete. Dennoch kommen sich auch dort Mensch und Wolf in die Quere. Aber die Menschen in Rumänien wissen, dass sie dem Wolf bei jeder Begegnung klar machen müssen, dass er in ihrer Nähe nicht willkommen ist. Sobald einer auftaucht, wird er wieder konsequent verjagt, manchmal sogar gejagt. Nur so erklären sich Fachleute, weshalb es in Rumänien nicht zu dramatischen Vorfällen kommt: Die Menschen markieren ihr Revier und das „versteht“ der Revierbesetzer Wolf sehr gut. Er achtet die Grenzen, wenn er weiß, dass er ansonsten einen hohen Preis zahlen müsste. Aber das müssen wir in Deutschland lernen und umsetzen, damit die Wiederansiedlung nicht nur ein zahlenmäßiger Erfolg wird, sondern auch eine echte Erfolgsgeschichte im respektvollen Umgang zwischen Mensch und Wolf.
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- Wolf: pixabay