Der Katholik und die Qual der Wahl

von PETER WINNEMÖLLER

Man nennt es ein Superwahljahr, wenn mehr als drei Wahlen anstehen. In diesen Jahr sind es drei Landtage und der Bundestag, die neu gewählt werden. Seit dem vergangenen Jahr ist klar, dass die AfD in nennenswertem Umfang in die Landesparlamente und in den Bundestag einzieht. Manchmal sind es zweistellige Ergebnisse, die von der neuen politischen Kraft erzielt werden, zuweilen wurde die Partei drittstärkste Kraft im jeweiligen Parlament.

Rechtspopulismus wird der Partei vorgeworfen. An einigen Stellen durchaus zu Recht. Einhellig mit den etablierten Parteien betrachten nahezu alle gesellschaftlichen Kräfte die Partei als Schmuddelkind, mit dem man nicht spielen und das man erst recht nicht ein eine Koalition aufnehmen will. Auch die Kirche mischt da munter mit. Manch ein katholischer Bischof, so unter anderem der Erzbischof von München oder der Bischof von Essen, überbieten sich darin, die Katholiken, die der AfD ihre Stimme geben, quasi zu exkommunizieren. Bei keiner anderen politischen Kraft im deutschen Parteienspektrum hört man solch eine drastische Kritik. Nicht einmal bei Grünen und Linken, deren Ideologie ja der Kirche geradezu spinnefeind ist. Auch die Sozialdemokratie ist keine Anschauung mehr, vor der man meint, noch warnen zu müssen.

„Katholischer Mann, meide die Sozialdemokratie!“, so stand es noch im Gebetbuch meines Großvaters. Mit drastischen Worten wurde vor der Partei gewarnt, die den Kaiser seiner Rechte berauben wollte. Mit Augenzwinkern darf man fragen, warum der Verfasser eines mit Imprimatur (=kirchlicher Druckerlaubnis) versehenen katholischen Gebetbuches für ein protestantisches Herrscherhaus sprach. Etwas ernsthafter könnte man sagen, daß die Kirche in Gestalt des Episkopats schon immer gerne mit den Mächtigen dieser Welt gedaddelt hat. Das ist leider Fakt. Auch Bischöfe sind nun einmal zuweilen schwach, auch sie sind Sünder.

Die Lehre der Kirche ist von schwachen Menschen unabhängig. Darin steht im Diesseits, d.h. in allem politischen und sozialem, die Würde des Menschen im Mittelpunkt. Diese hat der Mensch nicht aus sich selbst, sondern sie ist ihm seiner Natur nach als Geschöpf Gottes zu eigen. Diese zu wahren und alle daraus folgenden Konsequenzen im Blick zu halten, muß das Streben jeglicher Politik sein. Das gilt ohne Ansehen der Person und das gilt zu jeder Zeit.

Zuweilen steht die Kirche gegen jegliche (Tages-)Politik. Der Blick der Kirche geht nämlich über das Diesseits hinaus und gründet in ihrer Natur als göttliche Stiftung. Die Kirche sieht den Menschen aus diesem Blickwinkel eben nicht nur in seiner diesseitigen sozialen und politischen Dimension, sie hat auch das ewige Heil des Menschen immer im Blick. Die gefallene Natur des Menschen und die daraus folgenden „*ismen“ sieht hingegen allzu oft nur den Vorteil, der sich hier und jetzt erreichen läßt.

Nicht zuletzt daher rührt das lange fremdeln der Kirche mit der Demokratie. Sich selbst seine eigene Obrigkeit zu geben und diese nicht aus der Hand Gottes zu empfangen, ist eine schwere Herausforderung für den Menschen. Nur zu oft endet diese darin, daß sich der Mensch einen Despoten als Obrigkeit wählt und die selbstgewählte Last nicht wieder abwerfen kann. Die Demokratie trägt immer den Keim der Tyrannei in sich. Den Keim der Tyrannei nicht reifen zu lassen, verlangt reife Menschen.

In einem Staat, dessen Spitze sich selbst und ihr Handeln für alternativlos hält und ebenso agiert, treibt die Tyrannei schon mehr als ein Keimblatt. Fehlt der Widerspruch der – für eine Demokratie unbedingt notwendigen starken – Opposition, dann hat die Tyrannei schon den Fuß in der Tür. Mag sich jeder selber fragen, wo die tyrannischen Elemente der gegenwärtigen Politik liegen. Die Einschränkung und Einengung des persönlichen Lebens nimmt der Mensch leider immer erst zuletzt wahr. Auch das ist Fakt. Umso mehr bedarf es der Aufmerksamkeit.

Eine Frucht der gegenwärtigen Alternativlosigkeit ist die aufkommende neue politische Kraft, die AfD. Niemand mache sich Illusionen, die AfD ist ein leibliches Kind der CDU. Seit nunmehr zwölf Jahren driftet die politische Heimat der Bürgerlichen und der Konservativen mit zunehmender Geschwindigkeit in Richtung Sozialdemokratie. Die Sozialdemokratie überlebt nur noch als Juniorpartner der sozialdemokratischen CDU und der radikalere Sozialismus erstarkt in Gestalt grüner und tiefroter Parteien. Eine liberale Kraft schafft es kaum noch, sich nennenswert in das politische Geschäft einzubringen.

Die kommenden Wahlen werden eine Bürde für jeden, der nicht achtlos das Kreuzchen da macht, wo man es schon immer machte. Beschimpfung potentieller Wähler der AfD durch etablierte Politiker, Medienvertreter und Kirchenobere mit dem gleichen Zungenschlag machen die Bürde fast untragbar. Die Demokratie zeigt sich gerade jetzt von ihrer dunkelsten Seite. Wer das nicht sieht, übertüncht seine Blindheit mit einer rosaroten Brille. Einfache Antworten gibt es nicht.

Der sehr kritische Blick der kirchlichen Tradition auf die Demokratie bekommt neues Gewicht. Die Last, die auf dem Wähler ruht, ist schwer. Umso angenehmer ist die unaufgeregte Sicht auf die AfD aus dem Erzbistum Paderborn. Caritasdirektor Thomas Witt betont im Interview mit dem aktuellen Magazin „Caritas in NRW“ sehr deutlich, daß es keinen Sinn macht, AfD- Wähler zu beschimpfen. Vielmehr sollte man genau hinsehen, welche Bedürfnisse die AfD vorgibt zu decken. Mit demokratisch gewählten Abgeordneten solle man das Gespräch suchen. Die Grenze sieht Domkapitular Witt exakt dort, wo die Kirche sie zieht. Wer eine Haltung an den Tag legt, die menschenverachtend ist, hat sich selber aus dem Diskurs ausgeschlossen.

Wer eine menschenverachte Haltung an den Tag legt, ist für Katholiken unwählbar. Diese Aussage gilt ohne Ansehen der Farbe, die eine Partei verwendet. Das ist die Linie, an die sich ein katholischer Wähler zu halten hat. Es führt in der Wahlkabine kein Weg an dem eigenen Gewissen vorbei. Die Frage ist, ob ich auch nach der Wahl ein gutes Gewissen haben kann. Das ist der Wahlkompass. Das verlangt dann allerdings auch, die Wahlprogramme der Parteien zu lesen und den Wahlkreiskandidaten auf die Finger zu schauen.

Eine Tyrannei ist schnell installiert, doch nur schwer wieder loszuwerden. Wir sollten nie vergessen, dass die Demokratie zwar keinen Wert an sich darstellt, von den bislang erprobten schlechten politischen Systemen jedoch immer noch das beste ist.

Bildquelle:

  • Wahl: pixabay

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