Berlin – Thomas Dörflinger aus Waldshut hat morgen seinen letzten Tag als Bundestagsabgeordneter. Und viele in Berlin, seinem Schwarzwald-Wahlkreis und überall in Deutschland werden das Ausscheiden des CDU-Politikers aus der aktiven Politik bedauern. Denn Dörflinger ist eine zuletzt wenig zu findende Spezies in der von Angela Merkel linksgewendeten CDU. Ein Christ, ein Lebensschützer, der zu Abtreibung, Stammzellenforschung und Sterbehilfe klare Positionen bezogen hat, einer der aneckt, Mitglied des Berliner Kreises, ein…Konservativer. Nun hört er auf, lässt los, wird nochmal eine neue berufliche Herausforderung annehmen. Sein letztes Interview als Abgeordneter gab Dörflinger, der auch Bundesvorsitzender des Kolpingwerkes ist, der Online-Tageszeitung TheGermanZ.
Herr Dörflinger, Sie sind seit 20 Jahren Mitglied des Bundestages. Jetzt kandidieren Sie nicht mehr. Macht Ihnen Politik keinen Spaß mehr?
Alles hat seine Zeit. Hauptberuflich Politik zu machen, hat zwar seinen Reiz, aber vielleicht muss man es nicht sein ganzes Leben tun. Außerdem bin ich jetzt in dem Alter, wo man noch einmal etwas Neues beginnen kann; das wäre in vier Jahren vermutlich anders. Also mache ich jetzt den Schnitt.
Gibt es neben der persönlichen Lebensplanung auch inhaltliche Gründe für Ihren Schritt?
Mir geht es ähnlich wie Wolfgang Bosbach. Dass es bei Griechenland-Paketen, Migrationspolitik, Energiewende oder etwa in der Familienpolitik auch den einen oder anderen Konfliktpunkt gab, ist ja ein offenes Geheimnis. Wenn man da, um Bosbachs Bild aufzugreifen, als Kuh ständig quer im Stall steht, schränkt das auf Dauer die Bewegungsmöglichkeiten für alle Beteiligten ein…
Sie sind bundesweit bekannt geworden, weil Sie sich im Parlament für den Lebensschutz stark gemacht haben. Ist die CDU noch die richtige politische Heimat für Lebensschützer?
Zur Zeit würde ich diese Frage sicher noch mit Ja beantworten. Werfen wir aber einen Blick auf die Forschung in der so genannten Reproduktionsmedizin, dann werden die ganz schwierigen Punkte dort erst noch kommen. Wenn wir die Möglichkeiten, die die Reproduktionsmedizin heute schon bietet, zusammen mit Fragen diskutieren, die dann heißen könnten, ob auch mehr als zwei Menschen die Elternfunktion für ein Kind ausüben können und die Fortpflanzung auf Dauer von der menschlichen Sexualität abgekoppelt wird, dann geraten wir in schwieriges Fahrwasser. Dann wird sich beweisen, wer für das christliche Menschenbild steht und wer nicht.
Der Kurs, den die Bundeskanzlerin in der Flüchtlingsfrage eingeschlagen hat, ist bei vielen auch in der Union auf Widerspruch gestoßen. Haben wir die Lage jetzt im Griff?
In technischer Hinsicht weitgehend und vorerst ja. Ohne die ehrenamtlichen Helfer vor Ort hätte das aber wohl nie geklappt. Die Integration in puncto Spracherwerb und Finden von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen wird aber beileibe nicht so einfach, wie viele sich das vorgestellt haben. Das wird uns noch auf Jahre beschäftigen, zumal die Migration ja nicht abreißt. Es kommt ja nicht niemand mehr; es sind derzeit nur deutlich weniger Personen. Dass wir daneben erheblich mehr für die Sicherheit tun müssen, wird wohl niemand ernsthaft bestreiten.
Wenn wir es aber nicht hinbekommen, die Situation in den Herkunftsländern nachhaltig zu verbessern, bleibt uns Migration als Herausforderung auf Dauer erhalten. Hier brauchen wir eine gemeinsame Anstrengung aller Staaten in Europa. Das deutsche Vorpreschen bei der Aufnahme von Migranten in 2015 und danach hat eine solche Einigung nicht unbedingt einfacher gemacht.
Demokratie lebt vom Streit unterschiedlicher Meinungen. Viele Bürger bemängeln die fehlende Unterscheidbarkeit bei den etablierten Parteien. Gleichstellung der Homo-Ehe, Energiewende, Verstaatlichung der Kindererziehung – überall die gleiche Politik….
Ich habe mich immer aus Überzeugung gegen das Gerede gewehrt, dass „die da oben“ ohnehin alle das Gleiche täten, egal wen man wähle. Wenn wir dem weiter entgegentreten wollen, müssen die Unterschiede zwischen den Parteien wieder deutlicher werden. Das Erfolgsgeheimnis Deutschlands nach 1949 war, dass alle demokratischen Parteien von den Rändern zur Mitte hin integrierten; seit neuestem scheint es eine imaginäre Mitte zu geben, in der sich alle einig sind. Was sich links und rechts davon abspielt, betrachtet man schon als extrem. Dadurch werden auf Dauer die Ränder nicht schwächer, sondern stärker. Dies ist keine gute Entwicklung, denn sie weist in Richtung Weimar.
Zuletzt sorgte für Aufsehen, dass zahlreiche Unions-Abgeordnete im Bundestag dem rot-grünen Vorstoß für die sogenannte „Ehe für alle“ zustimmten. Und das obwohl Bundesparteitage der CDU eindeutig dagegen votiert haben…
Nachdem das von ganz oben zur Gewissensfrage erklärt wurde, ist dies verfahrenstechnisch eigentlich nicht mehr zu beanstanden. Wenn aber Kritiker innerhalb und außerhalb der Partei nach der Entscheidung des Bundestages auf Ihre Zweifel zur „Ehe für alle“ aus dem Adenauer-Haus eine Antwort erhalten, die sich von der rot-grünen Erklärung dafür gar nicht mehr unterscheidet und dies stattfindet, obwohl die klare Mehrheit der Fraktion in Übereinstimmung mit der geltenden Beschlusslage der Partei zu einer anderen Auffassung gelangt ist, dann gibt das schon zu denken.
Frau Merkel hat lange Zeit mit großen Koalitionen regiert. Kritiker sagen: dabei wurde das marktwirtschaftliche Profil der Partei Ludwig Erhards verwässert…
Ich habe zwischen 2005 und 2009 und von 2013 bis 2017 zweimal GroKo in der Praxis erlebt. Da sind die zu schluckenden Kröten manchmal dicker als die Hälse, durch die sie hindurch sollen… Das ist in dieser Konstellation manchmal gar nicht zu vermeiden. Aber: die Partei sollte halt daneben auch sagen, wie die Politik aussähe, wenn man CDU pur machen könnte. Wir neigen mittlerweile dazu, unsere Vorstellungen daran auszurichten, was mit diesem oder jenem Partner möglicherweise machbar wäre; dass dabei zwangsläufig von den eigenen Lehrmeistern wie Ludwig Erhard nicht mehr viel übrig bleibt, liegt in der Natur der Sache. Ich wünschte mir manchmal, dass wir uns auf die christliche Soziallehre und Ludwig Erhards Modell der Sozialen Marktwirtschaft zurückbesinnen; wir würden erstaunt feststellen, dass der Staat, der sich um alles kümmert, da nicht vorkommt; den Mindestlohn findet man dort aber sehr wohl.
Bildquelle:
- Thomas_Dörflinger_MdB: doerflinger