Der absonderliche Fall der Anne Spiegel

Familienministerin Anne Spiegel ist nach der Entschuldigung für ihren vierwöchigen Familienurlaub nach der Flutkatastrophe im vergangenen Sommer von ihrem Amt zurückgetreten. Foto: Annette Riedl/dpa

von JULIAN MARIUS PLUTZ

BERLIN – Im Englischen gibt es den Begriff: „Low hanging fruits“. Das bedeutet, dass manche Punkte die man machen kann, so offensichtlich sind, dass man sich kaum abmühen muss. Eben wie Früchte, die besonders tief hängen und man keine Energie aufwenden muss, um diese zu pflücken.

Wo wir auch schon bei Anne Spiegel sind. Die Grünen-Politikerin ist am 11. April von ihrem Amt als Familienministerin zurückgetreten. Nach vier Monaten ist Spiegel der erste Minister der Ära Scholz, der seinen Posten räumen muss. Und wenn wir ehrlich sind, dann ist sie der erste Spitzenpolitiker seit einer Ewigkeit, der überhaupt aufgrund Fehlverhalten seinen Job verliert.

Lediglich für die Presse ins Ahrtal gereist

„Ich habe mich heute aufgrund des politischen Drucks entschieden, das Amt der Familienministerin zur Verfügung zu stellen (…) um Schaden vom Amt abzuwenden, das vor großer Herausforderung steht“, so Frau Spiegel. Echte Reue, wahre Einsicht, einen Fehler gemacht zu haben, liest sich anders. Denn eigentlich sagt sie: „Da ich von meiner Partei und dem Koalitionspartner gezwungen werde, zu gehen, verlasse ich verdammt nochmal das Ministerium“. Fehlerkultur? Fehlanzeige!

Für die, die es nicht mitbekommen haben, was passiert ist, hier eine kurze Zusammenfassung: Während der schlimmsten Flutkatastrophe seit Jahrzehnten gönnt sich die damalige Umweltministerin von Rheinland-Pfalz einen vierwöchigen Urlaub. Doch damit nicht genug: Medien wie der Tagesschau sagte sie, dass sie währenddessen an Kabinettssitzungen teilgenommen hat. Das war gelogen. Lediglich für einen Tag und hübsche Pressefotos besuchte sie das Ahrtal.

Krankheit des Mannes als letzter Anker missbraucht

Am 10. April noch, also einen Tag vor ihrem Rücktritt, trat Anne Spiegel mit einer der wohl absurdesten Stellungnahmen vor die Presse, die man seit Christoph Daum erlebt hatte. Schon ihr erste Satz macht deutlich, dass die Pfälzerin sich nicht aus freien Stücken entschuldigen will. „Aus Anlass der Berichterstattung“, so sagt sie, möchte sie nun Stellung nehmen. Würde sie aus Überzeugung, etwas falsch gemacht haben, um Entschuldigung bitten, bräuchte sie dafür die Medien nicht.

Doch nun folgt das eigentliche Schauspiel. „Mein Mann hatte im März 2019 einen Schlaganfall“, fährt Frau Spiegel fort. Zwar hätte er „in der Vergangenheit“ ausdrücklich darum gebeten, die Privatsphäre aus den Medien zu lassen, doch damit ist es nun vorbei. Immerhin geht es um einen hochdotierten Job, da kann man schon mal moralische Selbstverpflichtungen über Bord werfen.

Der Schlaganfall hätte dazu geführt, dass der Ehemann Stress vermeiden sollte. So weit, so völlig nachvollziehbar. Doch weiter die Grünen-Politikerin: „Die Corona-Pandemie war für uns, ein Kind im Kita-Alter und drei im Grundschul-Alter eine Herausforderung die die Kinder auch ganz klar mit Spuren versehen hat“, auch das kann jeder völlig nachvollziehen. Ein anderes Thema wäre jedoch, warum sich gerade die Grünen so vehement für scharfe Maßnahmen, auch und gerade für Kinder, eingesetzt haben.

Vier Jobs, vier Kinder und dann das große Jammern

In dieser, wie erwähnt, sehr nachvollziehbaren Stresssituation entschloss sich Frau Spiegel, die Spitzenkandidatur ihrer Partei in Rheinland-Pfalz auch noch zu übernehmen, während sie Familienministerin im Bundesland bereits war. Und dann? „Ich hatte dann einen Schritt gemacht (…) der ein Fehler war“, ergänzte Anne Spiegel. Die Rede ist davon, dass sie 2020 bereits das Umweltministerium in Rheinland-Pfalz übernommen hatte. „Und ich habe diese Aufgabe sehr ernst genommen. Und es war zu viel“, bedauerte die Politikerin in die Kamera. Da haben die Pfälzer aber Glück gehabt, dass sich Frau Spiegel aus dem Amt keinen Spaß gemacht hat, sondern es „ernst genommen“ hat.

Wir fassen zusammen: 2019 erleidet der Mann einen Schlaganfall. Die beiden haben vier Kinder zwischen zwei und neun Jahren. Frau Spiegel hat bereits einen Vollzeitjob als Ministerin für Familie. Dazu kommt ein zeitintensiver Wahlkampf als Spitzenkandidatin. Hinzu kommt ein weiteres Ministeramt. Und dazu kommt nach dem Wahlkampf, dass Frau Spiegel die Koalitionsverhandlungen für die Grünen „federführend“ übernommen hatte. Ich zähle vier Jobs. Mutter, Wahlkämpferin/Spitzenverhandlerin, Ministerposten 1 und Ministerposten 2. All das in der schwierigen Situation eines kranken Ehemannes und pandemischer Maßnahmen.

Wann tritt die nächste Fehlbesetzung zurück?

Normalerweise würde mir das ein „Respekt“ abverlangen, dass sie all diese Tätigkeiten unter einen Hut bringt. Doch Frau Spiegel tut etwas, was man nicht tun sollte. Sie schiebt die Krankheit ihres Mannes in den Vordergrund, um den Urlaub zu rechtfertigen. „All das hat meinen Mann sehr stark belastet“, so die Grüne. Hat er ihr nicht geraten, kürzer zu treten? Das Amt zugunsten der Familie niederzulegen? Wenigstens vorübergehend eine Auszeit zu wagen?

Stattdessen sinniert sie mit zittriger Stimme, dass ihre Familie „das erste mal an einem Punkt“ war, dass sie Urlaub brauchten. Also fuhr eine verantwortliche Ministerin während massiver Zerstörungen und 134 Toten für vier Wochen in den Urlaub. Unter uns Klosterschwestern: Wer von Ihnen war in letzter Zeit knapp einen Monat am Stück im Urlaub?

Frau Spiegel beweist, dass sie für Spitzenämter kein Format hat. Manche tief hängenden Früchte müssen einfach geerntet werden, eher sie noch überreifer werden. Man kann nur hoffen, dass von nun an bei Fehlverhalten wieder zurückgetreten wird. Die nächsten Minister stehen bereits fest.

Bildquelle:

  • Anne Spiegel: dpa

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