von CHRISTIAN KOTT
BERLIN – Die Änderung des Infektionsschutzgesetzes hat zum Teil wütende Reaktionen hervorgerufen. Vom Ende des Rechtsstaates ist die Rede. Hobbyjuristen behaupten, der Bund habe seine Gesetzgebungskompetenz überschritten. Und mancher wähnt das Grundgesetz außer Kraft gesetzt. Auch wenn es natürlich legitim ist, aus politischen Gründen zu dramatisieren wenn im September gewählt wird, sind viele Statements kaum noch Ernst zu nehmen.
Ganz sicher wird sich das Bundesverfassungsgericht hiermit beschäftigen. Ohne eine mathematische Prognose abzugeben, weil im juristischen Bereich 2+2 nicht 4 ergibt, sondern „zwischen 3 und 5“ ist die Rechtslage nicht schwer zu erfassen. Aber dafür fragt man vielleicht besser keinen Oppositionspolitiker (und schon gar keinen Journalisten) sondern einen Juristen.
Ganz kurz einleitend, was geregelt wurde:
Der Bund hat den Infektionsschutz nun selbst geregelt statt dies den Ländern zu überlassen. Private Kontakte ab einer regionalen Inzidenz über 100 sind eingeschränkt. In diesem Fall muss zwingend eine allgemeine Ausgangssperre erfolgen. Schulen und Kitas müssen Präsenzbetreuung beenden, wenn die Inzidenz an drei Tagen in Folge regional über 165 liegt.
Sehr verkürzt ist aus juristischer Sicht festzustellen:
– Natürlich darf der Bund grundsätzlich Regelungen zum Infektionsschutz vorgeben. Gesundheitspolitik unterliegt der sogenannten „konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz“. Das heißt im Klartext: Nur soweit der Bund keine eigenen Gesetze erlässt dürfen Länder eigene Regelungen treffen. Das hat der Bund im Hinblick auf die obigen Regeln nun getan.
– Die Kontaktbeschränkungen haben die Verwaltungsgerichte schon öfter auf dem Tisch gehabt und bis auf formelle Fehler in einzelnen Verordnungen gehalten.
– Anders bei der Ausgangssperre: Mehrere Oberverwaltungsgerichte haben diese in der Vergangenheit schon gekippt. Ich prognostiziere, dass die neue einheitliche Regelung vor dem Bundesverfassungsgericht auf die gleichen völlig berechtigten Bedenken stoßen wird, die wir von der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte schon kennen. Kein Zufall: Genau hier will die FDP mit ihrer Verfassungsbeschwerde ansetzen, die gute Erfolgschancen hat.
Politisch ist es nicht seriös, bei dieser Sachlage so zu tun, als würden wir jetzt bereits in Nordkorea leben. Denn eigentlich geht es nicht um die Frage, ob wir jetzt im totalitären Polizeistaat angekommen sind, sondern um den ewigen Kampf zwischen Zentralismus und Föderalismus. Damit (und nur damit) ist der scheinbare Widerspruch zu erklären, dass die Grünen das Gesetz zwar kritisiert, sich aber dennoch enthalten haben: Grüne finden Zentralismus in jeder Hinsicht erstrebenswert.
Anstatt die ohnehin hysterisierte Bevölkerung aufzuhetzen hätte man besser folgende Fragen gestellt:
– Ist es nicht eine sagenhafte Unverschämtheit, dieses Gesetz „Bevölkerungsschutzgesetz“ oder „Notbremse“ zu nennen?
– Wenn das Infektionsgeschehen regional sehr unterschiedlich ist, wie sinnvoll ist es dann, die Regeln hierzu zu vereinheitlichen?
– Wenn diese Regelungen regional doch längst angewendet wurden aber nirgends nachhaltigen Erfolg gebracht haben, was sollte sich dadurch ändern, dass das gleiche jetzt nochmal in Bundeskompetenz ausprobiert wird?
– Was ist von einer Regierung zu halten, die hinsichtlich der Ausgangssperre die Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte und die Warnung zahlreicher Verfassungsjuristen einfach ignoriert und eine Ausgangssperre sehenden Auges trotz offensichtlicher Rechtswidrigkeit durchpeitscht?
– Ist ein umstrittener Wert wie Inzidenz der geeignete Maßstab um wirtschaftlich wie freiheitlich so weitgehende Maßnahmen, die enormen und nachhaltigen Schaden anrichten, zu rechtfertigen?
– Was ist der Hintergrund dafür, dass die Möglichkeit der Impfung (was immer man davon halten mag) so verschleppt wird, dass das längst nicht mehr mit Unvermögen sondern in einem Industrieland mit weltweit anerkanntem Talent für Prozessmanagement nur noch mit Sabotage erklärt werden kann?
– Warum ist zum Jahreswechsel die zur Verfügung stehende Zahl der Intensivbetten in Krankenhäusern reduziert worden, obwohl mehr als ein Jahr zur Verfügung stand, diese zu erhöhen?
– Ist es nach einem Jahr katastrophalen Krisenmanagements nicht an der Zeit, die Bekämpfung von Corona aus den Händen von Politikern in die von Fachleuten zu legen, die sich nicht um parlamentarische Mehrheiten und Wahlergebnisse sondern um Wirksamkeit und Effizienz kümmern?
Verstehen wir uns nicht falsch: Ich halte dieses Gesetz für falsch. Für politisch falsch. Weil es nichts bringen wird, aber noch mehr ökonomischen Schaden verursacht und das wenige noch vorhandene Vertrauen auch noch verspielt. Den verfassungswidrigen Teil wird das Bundesverfassungsgericht einfach kassieren, das ist ein rechtsstaatlich normaler Vorgang.
Weniger Panikmache und mehr Finger in die argumentative Wunde hätte der Debatte gut getan und sicher zu einem besseren Ergebnis geführt.
Bildquelle:
- Covid_19_Maske: dpa